Die meisten Sportarten, die heute von Fernsehsendern mit viel Brimborium, Zeitlupe und computergenerierten Intros in das heimische Wohnzimmer gebracht werden, stehen bei genauer Betrachtung schlicht und ergreifend für eine ritualisierte Form der guten alten Jagd. Heute wie damals geht es um die Geschicklichkeit des Jägers, streiten sich zwei Clans, zwei Menschen um das Recht der Beute, der Jagdgründe und … um die Jagdtrophäe, die Ruhm und damit Unsterblichkeit bringt. Im Lauf der Jahrhunderte kanalisierte sich der im tierischen Erbe des Menschen veranlagte Jagdtrieb dem Talent entsprechend in diversen Sportarten, bei denen ein ausgeklügeltes Regelwerk den Sinn der Hatz vorgibt und dadurch auch die Unversehrtheit der Teilnehmer wenigstens zum Teil garantiert. Als unverzichtbarer Bestandteil jenes instinktbehafteten Wirkens verblieb allerdings weiterhin das wichtigste Utensil, die Trophäe. Dieser Gegenstand gleicht einem „magischen Ereignisspeicher“, der es mühelos fertigbringt, den Besitzer aus seinem gewohnten Gefüge zu reißen und dabei an den Ort des einstigen Ruhmes zurückzukatapultieren. Insofern sieht der Betrachter viel tiefer, wenn er seinen Pokal, seine Medaille oder „Ur-kunde“ in den Händen hält, denn sinnbildlich spiegelt sich auf wundersame Weise die geadelte Seele des Wetteifernden im Gold der Ehrerweisung! Ihm wird hierin eine Vision zuteil, in der das zur Meisterschaft gebrachte Talent für einen Augenblick am Horizont der Ewigkeit erstrahlt und dabei den wahren Grund aller Sehnsucht preisgibt: die Ahnung von einer geistigen Heimat, eines „ewigen Jagdgrundes“ – dem „Aufenthaltsort“ der „Seelentrophäe“! Wie so oft steht hinter den physischen Gegenständen und den damit verbundenen Handlungsweisen der viel wichtigere Bildungs- und Entwicklungsauftrag für den Geist – will heißen: was man im Alltagsstreben in die Hand nimmt, nimmt man im Grunde ebenso in sein Herz! Im Schlepptau dringender Notwendigkeiten wie einst die Nahrungsbeschaffung durch die Jagd und die dafür erforderliche Körperbeherrschung befinden sich eben immer auch andere, geistige Qualitäten, die zur Erfüllung des Daseins genauso entdeckt und gefördert werden müssen! So liegt im Drange des Jägers und damit des Sportlers immer auch eine tiefe metaphysische Sehnsucht, die ihn Stufe um Stufe zu bisher noch unvorstellbaren Visionen seiner selbst antreibt …
Rugby, das martialische Spiel mit dem Ei, ist hierbei sicherlich eine der härtesten Gattungen des Ballsportes, wenngleich die muskelbepackten Spieler beachtenswerterweise viel Wert darauf legen, wenigstens auf dem Spielfeld als Gentlemen betrachtet zu werden. Daß nun gerade diese Sportart als Metapher für die Überwindung des südafrikanischen Apartheidstraumas dienen soll, hat in dem von Clint Eastwood 2009 inszenierten und im Anschluß Oscar-nominierten Streifen „Invictus“ (Unbesiegt) mehrere Gründe. Zum einen handelt es sich bei dem im Zentrum des Films stehenden berühmten Weltmeisterschaftsfinale zwischen dem damals in der Saison unbesiegten Rugby-Team Neuseelands – den legendären „All Blacks“ – und den chancenlos wirkenden südafrikanischen „Springboks“ um ein historisches Spiel, das tatsächlich in die erste und wohl auch schwierigste Amtszeit des frisch gewählten Präsidenten Nelson Mandela fiel. Andererseits ist die seltene Konjunktion zwischen politischem und sportlichem Großereignis für einen Filmemacher ein gefundenes Fressen, lassen sich doch rasante Sportszenen und Nahaufnahmen ineinander verkeilter Mannsbilder mit dem für Außenstehende uneinsehbaren Kampf eines Mandela verbinden und dadurch auf eine neue, spektakuläre Weise ins Bewußtsein des Zuschauers übersetzen.
Betrachtet man die Masse an qualitativ hochwertigen Filmen, die in den letzten Jahren aus der Regiefeder des 80jährigen Multitalents Eastwood stammen, dann leuchtet zudem schnell ein, daß der Altmeister bei seinem Projekt „Invictus“ keinerlei Ambitionen für einen oberflächlichen Sportfilm haben konnte. Vielmehr lag die Motivation ganz offensichtlich in der ehrlichen Faszination für das Leben und außergewöhnliche Werk des Friedensnobelpreisträgers Mandela, der trotz seiner 27jährigen Haft unbeirrbar sowie seelisch ungebrochen an der Vision der Versöhnung festhielt und dem Land am südlichen Kap Afrikas schließlich die „gute Hoffnung“ zurückgab!
Matt Damon als MannschaftsführerAls im Frühjahr 1994 das südafrikanische Volk in der ersten demokratischen Wahl Mandela (dargestellt von Morgan Freeman) zum Präsidenten eines nunmehr freien Südafrika beruft, ist allgemein noch unklar, wie sich die Lage in dem von Apartheid zerrütteten Land entwickeln wird. Zum ersten Mal seit langer Zeit hat die schwarze Bevölkerung zwar die Hoffnung für eine bessere Zukunft im Herzen, doch befindet sich dort auch viel Mißtrauen und Haß gegenüber den ehemaligen Kolonialherren. Gleichzeitig wächst die Angst der weißen Bevölkerungsschicht vor Übergriffen und Enteignung. Zwischen diesen verfahrenen Fronten steht nun Nelson Mandela, der die drängende Frage beantworten muß, wie man dieses Pulverfaß inmitten des lodernden Feuers hochkochender Gefühle unter Kontrolle bringen und den Teufelskreis des Hasses in eine neue Haltung innerer Stärke umwandeln kann. Diese Tage der großen Entscheidungen treffen den Freiheitskämpfer allerdings nicht unvorbereitet, da er während der Haftzeit auf Robben Island seinen Gegner ausgiebig studieren konnte. Zur Verblüffung seines Umfeldes sieht Mandela diesen Feind jedoch nicht in einer Menschengruppe mit bestimmter Hautfarbe, sondern schlicht in der destruktiven oder lieblosen Haltung seiner Mitmenschen! „Invictus“ gerät nun an den zahlreichen Stellen, in denen genau jene Vergeltungsmentalität oder neu aufkeimende Spielart „schwarzer Apartheid“ subtil hervortreten, zur Abfragestunde des eigenen Gewissens, da man als emotionaler Zuschauer durchaus gewillt ist, spontan Verständnis für wenigstens ein „bißchen“ Wut der schwarzen Südafrikaner aufzubringen! Ein bißchen Wut, ein bißchen weniger Gerechtigkeit – das lehrt uns Mandela in Invictus – gibt es aber nicht! Seine weisen und oft so verblüffenden Antworten entziehen sich jeglichem aufkommenden Affekt und verdeutlichen in den vielen feinen Dialogen des Films das in diesem Helden durch Leid und Entbehrung verinnerlichte Prinzip der Gerechtigkeit. Am kontrastreichsten zeigen sich die Spannungen zwischen Reflex und Besonnenheit, zwischen Rachedenken und Versöhnung bei der explosiven Zusammenstellung des Schutzpersonals, das Mandela wegen eines „Fachkräftemangels“ aus kampferprobten Männern der schwarzafrikanischen ANC-Partei sowie den berüchtigten Geheimdienstmitarbeitern – und somit aus den Reihen der alten Peiniger rekrutiert. Dem prompt darauf folgenden Wutausbruch seines farbigen Sicherheitschefs entgegnet Mandela mit einer in seiner Tragweite beeindruckenden Kompromißlosigkeit: „Die Versöhnung beginnt hier! Die Vergebung beginnt hier!“
Morgan Freeman in der Rolle seines LebensIn jenen gefährlichen Trubel nach der Amtseinführung gesellt sich nun endlich als besonderer Glücksfall der Rugby-Worldcup im Jahre 1995. Glücksfall, weil diese Weltmeisterschaft in Mandelas Augen das ideale Vehikel für ein neues Wir-Gefühl zwischen Schwarzen und Weißen sein könnte. Dieser Plan steht allerdings von Beginn an auf wackligen Beinen, da die Springboks einerseits zu den Außenseitern des Turniers gehören und andererseits der Rückhalt in der schwarzen Bevölkerung völlig fehlt. Den Südafrikanern galt der Sport der Buren seit jeher als verhaßtes Zeichen der Apartheid, deswegen feuern die farbigen Rugbyfans lieber das gegnerische Team als die „eigene“ Nationalmannschaft an – soviel zur wichtigen „Stadionatmosphäre“ während der Wettkämpfe! Nichtsdestotrotz wendet sich Mandela für die Verwirklichung seiner Vision einer Regenbogennation, also eines neuen, bunten Bundes, an den Mannschaftsführer des Nationalteams, François Pienaar (Matt Damon).
Mit den zwei Protagonisten des Streifens hat Eastwood einen Coup gelandet! Während Matt Damon in seiner Rolle als integerer Sportler schon absolut überzeugend ist, zeigt sich Morgan Freeman in der punktgenauen Abbildung eines staatstragenden Dieners schlicht in der Rolle seines Lebens! Hier begegnen sich nun zwei charismatische Persönlichkeiten, die sich in ihrem Führungsstil durch Vorbildlichkeit durchaus ähneln und alsbald zum Motor des ersehnten Triumphes werden. Es ist natürlich Mandela, der beim ersten Aufeinandertreffen dem sichtlich bewegten Pienaar die Tragweite und Chance des historischen Augenblicks aufzeigt und ihn indirekt um nichts weniger als den Sieg im Worldcup bittet …
Natürlich bekommt der Zuschauer auch ausgiebig „ritualisierte Jagd“ zu sehen, wenngleich das Rugbyspiel in „Invictus“ bald zur Metapher wird, die in den Spielern eine tiefe Sehnsucht nach einem besseren Südafrika entfacht. In seiner gigantischen Stadioncollage im Finale des Films schafft es Eastwood tatsächlich, einen schlichten Männersport in ein spirituelles Ereignis zu überführen, an dem auch die Zuschauer mit brennender Seele teilhaben können. Befeuert von den bewegenden Hymnen der geeinten Nation hört die Mannschaft den Ruf ihres Landes und gewinnt in einem packenden Finale die Herzen der Südafrikaner … und nebenbei auch den Weltmeistertitel des Jahres 1995! Sie zeigen damit, daß für einen wahren Kämpfer das Schicksal nie in Stein gemeißelt ist. Denn, wie es Mandela in einem für ihn wichtigen Gedicht zu sagen pflegt: „Ich bin der Herr meines Schicksals! Ich bin der Kapitän meiner Seele!“