Die Lebensgeschichte des erfolgreichen Buchautors und Filmemachers Clemens Kuby (geb. 1947) ist so spannend wie ein Krimi: 1981 stürzt er vom Dach seines Hauses 15 Meter in die Tiefe und bleibt querschnittgelähmt am Boden liegen. Diese Zäsur wirft tiefgreifende Fragen auf, deren konsequente Beantwortung dramatische Folgen haben soll: Kuby verläßt infolge seiner mentalen Selbstbehandlung bald das Krankenhaus … geheilt und ohne Rollstuhl! Mit dieser Spontanheilung beginnt für ihn die Reise zur Erforschung der im Menschen schlummernden Selbstheilungskräfte, die Kuby durch etliche Kulturen und Kontinente führen wird. Seine Erkenntnisse faßt er schließlich in einem programmatischen Konzept namens „Mental Healing“ zusammen. Tenor dieses Programms: „Der Mensch ist ein sich selbst heilendes Wesen!“
Im Jahr 1981 stürzten Sie vom Dach Ihres Hauses und waren anschließend querschnittgelähmt. Der Rettungshubschrauber, der Sie später in eine Spezialklinik bringen sollte, geriet zudem noch in einen äußerst schlimmen Hagelsturm. Dieser Flug bewegte Sie allerdings auch zu einer Zäsur in Ihrem damaligen Leben. Die Geschichte erinnert schon ein wenig an Luther, der, nachdem während eines Gewitters der Blitz neben ihm einschlug, Gott den Schwur gab: „Laß mich heil nach Hause kommen, und ich will ein Mönch werden!“ Was haben Sie Ihrem Gott in jener Nacht geschworen, so daß Ihre Querschnittlähmung schließlich sogar vollständig verheilen konnte?
CLEMENS KUBY: Ich habe im Hubschrauber gar nichts geschworen, weil ich davon ausging, sterben zu müssen! Ich dachte aber: „Bevor du stirbst, sollst du dich von deinem alten Leben trennen!“ Und dieser Gedanke brachte – im nachhinein gesehen – starke, heilsame Impulse in mein Leben. Ich hatte mir ja zuvor mit einer Hausrenovierung ein umfangreiches Programm auferlegt, denn anstatt mich auf mein Talent als Filmemacher zu konzentrieren, arbeitete ich über Jahre an einem uralten Haus in der „Hohenloheschen Pampa“ herum, alles, um es ein paar geliebten Menschen recht zu machen. Das Haus stand an einem Hang, der Dachvorsprung auf der Gartenseite lag einen Meter über dem Boden, während es auf der gegenüberliegenden Straßenseite 15 Meter hinunterging. Ich hatte mir angewöhnt, aus Bequemlichkeit die Abkürzung über das Dach zu nehmen, um in den Garten zu gelangen. An jenem Abend im Mai hatte es jedoch geregnet, und die Ziegel waren glitschig. Ich stieg also, wie so oft, aus dem Fenster heraus auf das Dach und … rutschte dabei in Richtung Straße ab – freier Fall, 15 Meter tief! Der Absturz dauerte nur zwei Sekunden, dennoch sah ich in diesem Sekundenbruchteil mein ganzes Leben an mir vorbeiziehen, unvorstellbar, als ob die Zeit stehenbleiben würde! Da lag ich nun auf dem Boden und wußte: jetzt bist du aufgelaufen, aus und vorbei! In diesem Augenblick mußte ich kurioserweise an meinen Religionsunterricht denken, und das, obwohl ich mit 16 aus der Kirche ausgetreten bin. Ich habe mich nämlich als Schüler mit meiner Religionslehrerin gestritten um die Frage, ob man nach dem Tod weiterlebt oder in welcher Form man das Jenseits erlebt. Für die Lehrerin gab es lediglich Himmel, Hölle und das Fegefeuer! Als ich auf dem Boden lag, gepeinigt von diesen „Höllenschmerzen“, kam mir ausgerechnet diese Lehrerin wieder in den Sinn, und ich glaubte allen Ernstes, ich wäre tot und schmorte nun im Fegefeuer! Um Gewißheit über meine Situation zu erlangen, schrie ich laut, doch mir war sofort klar, daß man auch im Traum schreien konnte, ohne gehört zu werden. Ich war in einer verzwickten Situation gefangen, weil mir einfach keine Verortung gelang! Irgendwann bemerkte dann der Nachbar meine Schreie und eilte mir zur Hilfe. Der Dialog mit ihm war dann glücklicherweise derart bodenständig und im besten Schwäbisch, daß mir klar wurde: So ein Gespräch gibt es im Fegefeuer nicht, ich mußte noch am Leben sein!
Und wann kam der Moment, der Ihr Leben veränderte?
CLEMENS KUBY: Nachdem vor Ort schnell klar war, daß ich mir bei diesem Sturz wohl die Wirbelsäule gebrochen hatte, wurde ich zunächst in das für solche Fälle spezialisierte Krankenhaus nach Bad Mergentheim transportiert. Als mein Bruder jedoch über das Unglück informiert wurde, drängte er darauf, mich in die Uniklinik nach Heidelberg verlegen zu lassen, da das dortige Hospital in den 1980er Jahren führend auf dem Gebiet war. Aufgrund der Schwere meiner Verletzung mußte ich jedoch – das war die Bedingung für eine Verlegung – mit dem Hub-schrauber überführt werden. Es war in diesen Tagen aber nicht so einfach, schnell einen Helikopter zu finden! Nach etlichen Telefonaten fügte es sich, daß der Kommandeur eines nahegelegenen Bundeswehrgeschwaders bereit war, den Krankentransport zu übernehmen, wenn ich damit einverstanden wäre, Teil der militärischen Übung zu sein, die im Moment anlaufe, nämlich verwundete Kameraden hinter der Front zu bergen! Mein Bruder willigte für mich ein, und wenig später stürmten vier bewaffnete Soldaten in voller Montur in das Krankenzimmer, sicherten lautstark die Gänge, „bugsierten“ mich auf einer Vakuumtrage aus dem Krankenhaus hinaus, wuchteten mich in den Hubschrauber und rasten davon, denn man wisse ja nie, wo der Feind lauert. Damit war das Ganze aber noch nicht überstanden. Der Pilot offenbarte uns nämlich, daß sich vor uns eine mächtige Gewitterfront aufbauen würde und daß er – im „Feindesland“ landen und tanken war ja laut Übung nicht drin – nicht genügend Sprit im Tank hätte, um das Unwetter zu umfliegen! Es folgte ein Inferno mit prasselnden Hagelkörnern, grellen Blitzen und entsetzlichen Luftlöchern, die uns unkontrolliert auf- und abrissen – es war grausam! Zum zweiten Mal in kurzer Folge dachte ich, sterben zu müssen, aber diesmal endgültig.
Zumindest war der Abtransport aus dem Krankenhaus standesgemäß für einen Filmemacher wie Sie!
CLEMENS KUBY: So habe ich mir das nicht gewünscht. Dieser Moment im Gewitter war jedoch für mich auch der Wendepunkt, das war der Moment, an dem ich mit meinem früheren Leben gebrochen habe. Dort in der Luft beschloß ich, mich von den Dingen zu trennen, allem voran von meinem Renovierungsprojekt, an dem derart viele Versprechen hingen. Ich wollte ja das Haus so ausbauen, daß meine Mutter darin alt werden konnte, den Nachbarn hatte ich ein Wirtshaus versprochen, meiner Frau wollte ich ein Zuhause bieten, der Bank versprach ich, die Kredite ordentlich zurückzuzahlen usw. Ich war eingespannt in einem starren Korsett und hatte durch mein Pflichtbewußtsein nie den Mut, mir einzugestehen, daß ich mit den aktuellen Umständen nicht mehr einverstanden war, daß sich meine Seele gegen das alles sträubte. Wenn man allerdings am Ende den Mut nicht aufbringt, zu sich zu stehen – das sehe ich heute ständig in meinen Seminaren –, wenn man also zu feige ist, sein eigenes Leben zu leben, dann ereignen sich Einschnitte, die einen völlig aus der Bahn werfen.
Es ist aber auch nicht gerade trivial, eine ganze Maschinerie um sich herum zum Stillstand zu bringen, sich von bindenden Hoffnungen anderer zu befreien oder sich gegen den Sicherheit versprechenden Alltag zu stemmen, um sich dann bewußt für einen anderen, völlig offenen Weg zu entscheiden! Wozu das ganze Risiko, mag man denken! So eine innere Umprogrammierung erscheint uns im Alltagsmodus doch sehr bedrohlich.
Wir können in unser Schicksal eingreifen, wir können extremes Leid vermeiden, wenn wir früh genug tätig werden und die Symbolik unseres Alltags intuitiv lesen lernen!
CLEMENS KUBY: Vollkommen richtig, das ist nicht einfach, wer aber nicht auf seine Empfindung hört und sensibel mit sich umgeht, der wird schnell gelebt, der wird sich bald fernab eigener Einflußmöglichkeiten in schmerzhaften Situationen wiederfinden, die ihm das bisher so sicher scheinende Heft aus der Hand nehmen und ihn damit zum Zaungast seines Lebens machen! Wenn man nicht frühzeitig korrigiert und den Mut hat, sich und den Mitmenschen reinen Wein einzuschenken, läuft man Gefahr, vom Leben ziemlich heftig korrigiert zu werden! Es hilft ja nichts; spätestens nach den vielen kleinen wie großen Schicksalsschlägen muß man sein Leben sowieso anders angehen und dafür auch harte Entscheidungen treffen! Die Wahl lautet also: Entweder entscheide ich mich für ein passendes Leben oder das Leben paßt mich an … Wichtig ist bei alledem zu sehen, daß der Schmerz Teil eines notwendigen Bewußtseinswandels ist und nicht unser Gegner! Man kann sich fragen: Will ich den Schmerz und die Unsicherheit der Lebensveränderung oder den Schmerz der Krankheit?
Wie frei sind wir denn nach Ihrer Meinung, diese Entscheidungen zu treffen? Jeden Morgen, wenn wir den Denkapparat anwerfen, bestätigen wir doch fast zwanghaft unsere bisherige Identität, rufen Erfahrungen auf, abstrahieren die daraus folgenden Regeln, um am Ende die mehr oder weniger gleiche Marschroute für die Zukunft anzupeilen wie in den Tagen zuvor. Wie schaffen wir es denn kraft des Geistes, eine neue, belebende Wirklichkeit zu formen?
CLEMENS KUBY: Das ist für die meisten schwer realisierbar, da sie in autonom gewordenen Gedanken gefangen sind! Das sieht man im Großen beispielsweise an den Atomkatastrophen unserer Zeit. Nach Tschernobyl wäre es doch möglich gewesen, die gängige Wirklichkeit zu verändern, die Atomlügen hinter sich zu lassen; man tat es aber nicht! Nicht einmal die vielen bis heute zu beklagenden Toten haben für eine Weichenstellung gereicht, und selbst Fukushima brachte keine nennenswerte Veränderung! Die Schwäche des heutigen Menschen zieht sich analog bis in die individuelle Ebene. Nehmen Sie mein Beispiel: Ich wußte doch, daß mein Leben verkehrt war, ich hatte Tausende Zeichen und Impulse in den Jahren meines Irrweges, durch die ich hätte aufwachen können, um etwas grundlegend in meinem Leben zu verändern – ich tat es jedoch nicht! Wenn zu dieser Zeit aber einer gekommen wäre und hätte mir bei den markanten Vorzeichen gesagt: „Clemens, deine Seele will dir etwas sagen!“, hätte ich ihm doch den Vogel gezeigt! Ich hatte ja stets meine logischen Erklärungen für all die son-derbaren Ereignisse, und damit wurden auch die aufflackernden Ahnungen irrelevant. Dort, wo diese Weckrufe dann doch einmal lauter wurden, überrannte schließlich mein Pflichtgefühl die verbleibenden Regungen – wenn ein Typ wie ich A sagt, da muß er eben auch B sagen!
Ähnliches zeigt sich ja auch in Gesprächen mit inhaftierten Straftätern. Einige von ihnen haben ein unbescholtenes und durchaus erfolgreiches Leben geführt. Sie konnten aber erst nach ihrer Tat die vielen Zeichen erkennen, mit denen sie, zum Beispiel während ihrer Ehe, ständig konfrontiert wurden und die letztlich genau dort auch zur Katastrophe führten. Die Symbolik, die man als Außenstehender in solch einem Leben erkennen kann, bleibt für den „Betroffenen“ in seiner Befangenheit schwer ersichtlich.
CLEMENS KUBY: Das ist in meinen Seminaren immer ein Grund zum Schmunzeln. Wenn einer anfängt, seine Geschichte aufzurollen, dann sehen die Beteiligten der Runde irgendwann relativ deutlich das Problem dieses Menschen. Sie wissen beispielsweise, wieso er heute unter solch schlimmen Migräneanfällen leidet oder immer diese eigenartigen Partner anzieht, während der Betroffene lange keinen Schimmer hat, wie die Rückschau mit seinem Jetzt-Zustand verbunden sein soll! Manchmal scheinen die Vorgänge zwar wie auf einem starren Gleis zu verlaufen und die Möglichkeit der Einflußnahme nicht vorhanden zu sein, dennoch: Was aus uns wird, ist nicht in Stein gemeißelt! Wir können in unser Schicksal eingreifen, wir können extremes Leid vermeiden, wenn wir früh genug tätig werden und die Symbolik unseres Alltags intuitiv lesen lernen. Wir können sogar, und das ist das Schöne am Leben, rückwirkend die Gründe für ein Leiden auflösen, und der Körper und die Umstände richten sich nach der neu geschaffenen ursächlichen Wirklichkeit. Das Gehirn kann zwischen Fakt und Fiktion nicht unterscheiden. Es bildet auch Synapsen aufgrund von Imaginationen, und darin liegt das gigantische Heilungspotential. Wenn man schwere Krankheiten vermeiden will, gilt es, viel sensibler zu werden, die Zeichen schon so frühzeitig zu erkennen, daß sie erst gar nicht zum Symptom werden. In der Regel veranstalten wir jedoch zunächst einen riesigen Eiertanz, um uns dann ge-zwungenermaßen ein bißchen zu verändern. Das geht so lange gut, bis das Schicksal korrigierend eingreift. Jede Krankheit ist dabei letztlich ein Zeichen dafür, daß man sein Problem vorher nicht wahrnehmen wollte und die Erkenntnis, die dadurch ignoriert wurde, nun durch Schmerz ins Bewußtsein tritt. Das Leben will eben erkannt werden, so oder so, und dafür ist es nie zu spät.
Was bringen diese „Weckrufe“ des Lebens, wenn man sie verflucht oder, schlimmer noch, im heute gängigen Schuld-Sühne-Kult verkennt? Am Ende kann ich Schick-salsschläge doch nur als gewinnbringend erfahren, wenn ich mein Dasein zwischen Geburt und Tod nur als Station einer viel weitläufigeren Existenz sehe. Deswegen ist doch die Grundvoraussetzung zum Verständnis seines Schicksals zunächst einmal die Betrachtung dessen, was Menschsein eigentlich bedeutet, worin es besteht.
CLEMENS KUBY: Deswegen sage ich ja auch: Gesundheit ist keine medizinische, sondern eine philosophische Frage, und deswegen benötigen wir, wie Sie richtig sagen, zunächst einmal ein anderes Menschenbild! Solange ich davon überzeugt bin, ich wäre ein biochemisches, mechanisches Wesen, glaube ich auch nur, mich durch mechanische Operationen oder chemische Maßnahmen ins Lot bringen zu können. Alles andere hat ja meinem Menschenbild zufolge keinen Platz und damit auch keine Wirkung! Ich weiß deshalb in der weiteren Konsequenz auch nicht, wieso ich mich mit so etwas Abstrusem wie einer Seele beschäftigen sollte. In Wirklichkeit ist das Bewußtsein ja nicht einmal an den Körper gebunden. Wir müssen uns also zunächst klarmachen, daß wir in Wirklichkeit ein geistig-seelisches Kontinuum sind und unser heutiges Welt- und Selbstbild es ist, das uns quält! Ja, ich weiß, so ein Satz ist in unserer Zeit schwierig an den Mann zu bringen!
Stimmt! Viele Menschen überfällt bei solch einer Terminologie eher Unbehagen. Dabei spricht das materielle Weltbild eigentlich kraß gegen unsere Erfahrungen! Die meisten sagen zwar, daß sie nur das glauben, was sie sehen oder fühlen können, tatsächlich aber konstruieren wir in unserem Gehirn unsere eigene Wirklichkeit! Richtiger wäre deshalb der Satz: Wir sehen nur, was wir glauben!
CLEMENS KUBY: Die Tendenzen, die wir bisher im gängigen Weltbild beobachten können, pendelten immer von einem Extrem ins andere. Im Mittelalter lebte die Bevölkerung beispielsweise primär für das Jenseits. Der Glaube an das Unsichtbare hatte damals einen unglaublich hohen Stellenwert. Wohin diese stark schematisierte Sichtweise führte, ist hinlänglich bekannt; da wurden Menschen schon wegen eines Wortes gefoltert, Andersdenkende bekriegt und getötet. Als Gegenlehre aus dieser unmenschlichen Zeit setzte sich die europäische Aufklärung durch, mit Vordenkern wie Descartes oder Francis Bacon. Das führte zum anderen Extrem, dem heute herrschenden rationalen Denken. Wir sehen aber schon, daß dieses Denken seine Grenzen erreicht hat. Mit dem rein materialistischen Blick sind wir nicht in der Lage, den Planeten anständig über die Runden zu bekommen, geschweige denn, mit der Natur in Übereinstimmung zu gelangen. Zu gigantisch sind die Probleme, die entstehen, wenn man die Erde lediglich als leblose Grundmasse zur Befriedigung eigener Begierden betrachtet! Das Pendel bewegt sich nun wieder spürbar in die andere Richtung, das sieht man anhand der vielen esoterischen Strömungen, die sich von dem alten materialistischen Weltbild abkoppeln wollen … ohne sich dabei jedoch klarzumachen, daß sie ihren Drang zur Ausgleichsbewegung völlig übertreiben und letztlich in einem anderen Extrem zu enden drohen. Die Mitte wäre das Ideal, Ratio und Intuition müssen Hand in Hand gehen; der Geist – oder die Intuition – soll anführen, der Verstand – oder die Ratio – ausführen!
In Ihrer therapeutischen Arbeit müssen die „Geschichten“ der Vergangenheit aufgelöst werden, um dadurch Heilung zu erreichen. Man sieht sich also das – wie Sie sagen – „Schmerzbild“ seiner Vergangenheit an und notiert dabei die damaligen Geschehnisse a) im Präsens und b) in wörtlicher Rede. Man braucht für Ihr Seminar nur einen dicken Schreibblock oder ein Diktiergerät. Was bezwecken Sie damit genau?
CLEMENS KUBY: Wir alle schleppen in unserer Biographie Ereignisse mit uns herum, die es uns bei klarer Sicht schwermachen würden, ein ungezwungenes Leben zu führen. Aus diesem Grund neigen wir zur Verdrängung seelischer Verletzungen. Was wir dabei allerdings nicht in Betracht ziehen: Unsere Seele unterliegt einer permanenten Ausgleichsbewegung, das heißt, sie möchte Disharmonien und Konflikte nicht mit sich herumschleppen, sondern in Liebe auflösen, harmonisieren! Der Hintergrund dazu liegt in der Tatsache, daß harmonische Zustände die geringste Energie benötigen. Nichts, das Streß macht, kann seinen Zustand lange halten. Was also fließend, ohne großen Kraftaufwand funktioniert, ist von Dauer, gesund und damit erstrebenswert. Das Problem ist nun aber, daß wir es mit dem materialistischen Weltbild nicht schaffen, weit zurückliegende Ursachen unserer aktuellen Probleme ans Tageslicht zu befördern. Wir brauchen – wie ich oben bereits erwähnt habe – ein Weltbild, das auch dem Wesen unserer Seele gerecht wird und uns frei von den heute gängigen Barrieren dazu befähigt, das Sein in allen seinen Etappen zu durchleben! Durch meine Erfahrung als Filmemacher bin ich mit der enormen Kraft der Bilder sehr vertraut, weiß von ihrer Fähigkeit, Ereignisse wiederaufleben zu lassen. Bei dem von mir entwickelten Therapieverfahren „Mental Healing“* greife ich dieses Prinzip auf und erlebe durch die Imagination im Jetzt noch einmal, wie ich ein Baby war, wie ich jemanden schlug oder mich jemand schlug, wie eine mir nahestehende Person mich demütigte usw. Das Gute ist bei dieser Herangehensweise, daß man als „Regisseur seines Lebens“ diese störenden Bilder im Film auch wieder verändern kann, indem man das Drehbuch verändert! Und das funktioniert sowohl rückwirkend wie auch für die Zukunft.
Sie nennen das „Seelenschreiben“*.
Die Menschen sind in autonom gewordenen Gedanken gefangen!
CLEMENS KUBY: Ja, weil ich die entscheidenden Regungen meiner Seele, deren markante Aufzeichnungen im Jetzt, aufs Papier bringe. Diese Aufzeichnungen führen nicht nur zum Aufbrechen des Panzers, also zu starken Gefühlsausbrüchen und heftigen Tränen, sondern wegen der geradezu plastischen Selbstsicht auch zu einem Erkenntnisprozeß, durch den relativ schnell klar wird, wieso jemand schon so lange unter einem Problem leidet. Der erste Schritt zur Heilung beginnt danach mit der Frage: Wann war meine Welt noch in Ordnung? Hierbei fährt man den Lebensfilm bis an die Stelle zurück, an der man das Gefühl hatte, daß noch alles im Lot war. Man verfolgt seinen Film von dort genau bis zur Bruchgrenze und beginnt an diesem wichtigen Punkt, die traumatische Szene seines Drehbuchs umzuschreiben! Ich kann also, nachdem ich die Brennpunkte lokalisiert habe, eine glücklichere und damit eine mich heilende neue Wirklichkeit imaginieren und damit auch die Emotionen wandeln, die mit der alten schmerzenden Szene verbunden waren. Der verhängnisvolle Abschnitt meines Films wird in eine gute Szene umgearbeitet, das ist essentiell. Ich beende die ewige Flucht vor dem Unangenehmen, den Dämonen der Vergangenheit, weil ich weiß, wie ich mich von ihnen endgültig befreien kann. Durch das Seelenschreiben kann man sich rückwirkend eine positive Wirklichkeit, ein „Happy-End“ erschaffen, wodurch die Seele ins Gleichgewicht kommt und sich das körperliche Signal, das sie für diese notwendige Harmonisierung gesetzt hatte, augenblicklich einstellen kann. Das ist die Heilung auf der körperlichen Ebene. Wenn es uns gelingt, die Wunden der Vergangenheit liebevoll zu heilen, dann prägen wir somit auch gleichzeitig unser Handeln für die Zukunft.
Ist der Reinkarnationsgedanke für diesen Weg der Selbsterkenntnis notwendig?
CLEMENS KUBY: Nein, aber man sollte nichts dagegen haben. Wie wollen Sie sonst mit Kindern arbeiten, die zum Beispiel mit einer Behinderung auf die Welt kamen und bei denen in der Schwangerschaft keine Verbrechen am Ungeborenen begangen wurden? Wo wollen Sie bei einem so kurzen Dasein mit der Ursachensuche beginnen? Ich muß die Reinkarnation aber gar nicht thematisieren. Wir können uns darauf verständigen, daß wir die für das heutige Leben unpassenden Bilder, Erlebnisse und Gefühle einfach mal akzeptieren. Es genügt, sie für wahr zu nehmen, und schon können wir damit arbeiten. Es geht ja nur darum, den belastenden Film zu ändern. Dabei entscheidet nur die subjektive Wahrheit, die Betroffenheit. Die Ratio hat Pause. Eine Wirklichkeit braucht nicht wahr zu sein, sie heißt nur deshalb Wirklichkeit, weil sie wirkt!
Herzlichen Dank für dieses Gespräch und viel Erfolg für Ihre Seminararbeit und Ihre weiteren Filmprojekte.
*„Mental Healing“ und „Seelenschreiben“ sind eingetragene Markenzeichen.