Susanne Barknowitz ist Atem- und Psychotherapeutin in Innsbruck und Hauptautorin des Buches „Wege aus der Seelenkrise – Hilfe bei Ängsten und Depressionen“. In unserem Interview spricht sie über ihre therapeutische Arbeit.
Ich möchte das Interview mit einem kleinen Selbstversuch starten! Ich habe Angst vor diesem Interview! Dabei sind Sie doch eine nette Person, von der keine Bedrohung auszugehen scheint! Wieso verspüre ich im Augenblick dennoch dieses subtile Angstgefühl? Bin ich noch normal oder geht das anderen auch so? Wie kann ich handlungsfähig bleiben?
Susanne Barknowitz (lacht): Das geht ganz vielen so, keine Sorge! Diese „Angst“ von der Sie hier sprechen, ist wohl eher Aufregung oder ein Spannungsgefühl, also das, was man landläufig als „Lampenfieber“ bezeichnet. Sie können dem ganz einfach entgegenwirken, indem Sie sich beispielsweise ganz auf den Interviewpartner und den Inhalt des Gesagten einstellen und nicht sich selbst beobachten. Sobald Sie ganz bei Ihrem Mitmenschen und bei der Sache sind, vergeht auch die zwanghafte Eigenbeobachtung und der natürliche Gesprächsfluß stellt sich wieder ein.
Sie beschreiben in dem Buch „Wege aus der Seelenkrise“, daß der Angstneurotiker um keinen Preis leiden möchte. Welchen Sinn hat denn das persönliche Leid im Leben?
Susanne Barknowitz: Leid geschieht ja nie ohne einen ganz bestimmten Bezug zum eigenen Leben, zum Erleben der Person. Erschütterungen, wie der Tod eines geliebten Menschen, Krankheiten oder andere leidvolle Erfahrungen, sind Teil der eigenen Biographie, da passiert ja nichts wahllos. Wenn der Betroffene nun diese Geschehnisse bejahend verarbeiten will, dann hat er die große Chance, etwas Wichtiges zu erkennen und dadurch auch die Gelegenheit, etwas in seinem Leben in guter Weise umzustellen. Das dumpfe Leiden weicht einer klaren Antwort, und man kann gestärkt daraus hervorgehen.
Was macht man bei Existenzängsten, die von außen geschürt werden oder von unvorhersehbaren Faktoren abhängen, wie zum Beispiel von einem launischen Chef?
Susanne Barknowitz: Ich versuche das Problem gemeinsam mit dem Patienten nicht nur von außen zu betrachten. Meist steht ja hinter dem offensichtlichen Problem ein ganz anderes Problem. Wenn ein Mensch sich seinem launischen Chef bis zur Unterwürfigkeit anpaßt, dann ist er dabei natürlich auch todunglücklich – unglücklicher sogar, als wenn er eine Weile arbeitslos wäre! Die meisten Karrierebestrebungen gehen doch auf die Kosten des eigenen Inneren, das irgendwann einmal über den Körper oder über psychische Störungen rebelliert. Eigentlich ist mein wichtigstes Ziel, daß sich die Menschen wieder trauen, die eigenen Fähigkeiten, die sie in sich tragen, auch zu leben, da ich überzeugt bin, daß hierin sogar eine Verpflichtung liegt! Wenn sie mit dieser Arbeit an sich selbst beginnen, ergeben sich fast gesetzmäßig neue Möglichkeiten.
Wenn aber ein Mensch nach Jahrzehnten des Stillstands infolge eines bestimmten Lebensumstandes sein Innerstes wieder zu entdecken beginnt, dann steht er doch plötzlich auch vor dem Nichts, oder? Er hatte ja all die Jahre ein ganz anderes „Überlebenskonzept“ gepflegt. Die sozialen Fähigkeiten und die persönliche Empfindungsfähigkeit können ja nur sehr mangelhaft ausgebildet sein, da sie über den alten „Modus“ kaum benötigt wurden.
Susanne Barknowitz: Er braucht kein Konzept für sein Leben! Er braucht nur zu spüren, zu empfinden, was für ihn passend und stimmig ist. Ein passendes Konzept oder Patentrezepte habe ich für ihn ja auch nicht parat! Ich kann ihn lediglich darin bestärken, den inneren Notwendigkeiten zu folgen. Das hört sich im ersten Augenblick vielleicht banal an, doch in Wirklichkeit ist dieser Prozeß der Umstellung höchst erstaunlich. Es ist einfach ergreifend, wenn der eigentliche Mensch dort innen wieder beginnt, so zu leben, wie er in Wirklichkeit ist. Dieses wahrhaftige Ich ist bei fast allen durch Anpassung aus verschiedensten Gründen sehr stark zugeschüttet. Die mangelnde Identität ist hierbei eine der Hauptursachen, daß ein Mensch überhaupt in die „Störungen“ gerät. Über Jahre, Jahrzehnte oder gar Inkarnationen hinweg läuft diese Anpassung, und dies alles nur, um nicht verletzt zu werden, um anerkannt zu werden, um einen Platz in der Gesellschaft zu haben. Diese Mechanismen sitzen in fast allen so dermaßen tief, daß sich daraus sichtbare Störungen entwickeln, die das Innerste in seinen Entfaltungsmöglichkeiten blockieren. Fast niemand ist heute noch er selbst! Es ist aber erstaunlich, welche neuen Möglichkeiten sich ergeben, wenn sich jemand auf den Weg begibt, wenn er die Frage spürt: Was ist denn überhaupt meine Aufgabe in diesem Leben? Wo ist mein Platz? Was liegt mir denn wirklich?
In dem Buch „Wege aus der Seelenkrise“ sprechen Sie eine Dimension an, die man in der Psychologie so nicht kennt – die Dimension des Geistes. Sie sprechen in diesem Zusammenhang vom Glauben an den Schöpfer, rechnen fest mit heilendem Gottvertrauen. Wie arbeiten Sie damit in der Praxis?
Susanne Barknowitz: Der Bach hat immer Verbindung zur Quelle! So ist es mit uns auch! Dies ist ein Bild, das meine Sichtweise verdeutlicht. Wenn wir uns tief innen öffnen, dann können wir erfahren, wie unser Innerstes die Verbindung nach oben, also zum Urquell sucht und auch von dort angezogen wird! Die Vertiefung findet, so gesehen, also in einem selbst statt, in dem man in der Stille des eigenen Raums der Spur zurück zur Quelle folgt. Das versuche ich zum Beispiel dadurch, daß ich Patienten die Hand auf die Körpermitte lege, so daß sie in ihren inneren Raum eintauchen können. Danach gebe ich ihnen das Bild des Baches. Damit können die meisten sehr viel anfangen! Durch diese natürliche Verbundenheit mit der Quelle findet das Innerste seinen Weg von selbst. Es gibt diesen wunderbaren Satz: „Natürlich sein heißt, der lebenden Anziehungskraft des Lichtes folgen!“ In dem Augenblick, in dem sich das Innerste sehnsuchtsvoll öffnet, sucht es Verbindung zur Quelle … Bilder berühren oft mehr als theoretische Sätze.
Der Tod ist ja makabrerweise das einzig Sichere im Leben! Viele erleben die Unausweichlichkeit des Todes, die Ungewißheit des Danachs, als angsteinflößend oder bedrohlich und vermeiden deshalb jeden Gedanken über die eigene Endlichkeit der körperlichen Existenz. Wie gehen Sie mit Menschen um, die in solch einer Angst gefangen sind und zudem nichts mit dem Gedanken an ein Weiterleben nach dem Tode anfangen können?
Susanne Barknowitz: Ich arbeite prinzipiell sehr viel mit Fragen. Ich frage solch einen Patienten sofort, wovor er denn genau Angst hat. Ist es die Angst vor Leid? Ist es die Angst vor dem Sterbeprozeß, vor dem Tod an sich? Oder ist es eher die Angst, daß etwas Ungeklärtes im Leben verbleibt? Meistens ist es genau diese Angst! Die Angst liegt meist im eigenen Leben begründet, in dem einiges mitschwingt, das noch nicht geklärt oder gelöst wurde, zum Beispiel ganz bestimmte Schuldgefühle – etwas bedrückt den Menschen noch oder hängt noch an ihm.
In der Regel haben sich die meisten Menschen nicht mit der Tatsache beschäftigt, daß sie öfter als nur einmal auf der Erde leben, so daß im Alter die Furcht vor dem Tod ganz erschütternd stark werden kann. Ich erinnere mich an eine Frau, die massive Ängste vor dem Sterben hatte. Für mich war es wichtig zu wissen, wovor sie sich denn eigentlich so sehr fürchtete. In der ersten Antwort galt ihre Angst den Kindern. Sie fürchtete, sie alleine lassen zu müssen. Ich fragte sie, ob sie glaube, daß die Kinder alleine nicht lebensfähig wären? Das verneinte sie. Schließlich äußerte sie die Angst vor dem Abschied, vor der Trennung. Diese Erkenntnis war so stark, daß sie spürte, daß sie das schon einmal sehr schmerzhaft erlebt haben mußte.
Ist es manchmal möglich, im Rahmen einer Therapie jenseitige Gegebenheiten direkt anzusprechen?
Susanne Barknowitz: Da gibt es ein sehr schönes Beispiel von Frau Elisabeth Lukas*, die eigentlich gar nicht mit dem Themengebiet Jenseits arbeitet: Ein in Trauer völlig aufgelöster Mann kam zu ihr in die Praxis und erzählte ihr vom Verlust seiner kleinen, vierjährigen Tochter. Das Mädchen war auf dem Grundstück des Hauses, welches sich gerade im Rohbau befand, in ein Baubecken gefallen und dabei ertrunken. Der Vater war völlig verzweifelt, gab sich die Schuld für den Tod seiner Tochter, da er im tragischen Augenblick nicht gut genug auf sie achtete. Frau Lukas sagte daraufhin: „Ich kann Sie nicht trösten, weil es so furchtbar ist, was Ihnen widerfuhr! Ich kann Ihnen nur einen Rat geben: setzen Sie sich zuhause in einen Raum, wo Sie sich ihrer Tochter am nächsten fühlen und in dem Sie ganz alleine sind. Rufen Sie ihr Kind und sprechen Sie mit ihm über das, was Ihr Herz so sehr bedrückt!“ Nach sechs Wochen kam der Mann wieder zu Frau Lukas, und natürlich war er noch immer traurig, aber es war nicht mehr diese Verzweiflung in ihm. Er schilderte ihr, daß er es nie für möglich gehalten hätte, dennoch sei sein Kind tatsächlich da gewesen! Es habe die Hand auf seine Stirn gelegt, die er sogar jetzt noch spüre. Er erzählte seiner Tochter von seiner Trauer und der unverzeihlichen Schuld, die er sich an jenem Tag auflud, woraufhin das Kind ihm liebevoll entgegnete: „Vater, Du liebst mich doch!“