6 Millionen Tonnen Plastik landen jedes Jahr im Meer – Tendenz steigend. Das nette Allerweltsprodukt Plastik entwickelt sich im Schatten populärer Umweltgifte zu einer der brisantesten Umweltbelastungen des 21. Jahrhunderts.
Das hatte sich der alte Seebär Charles Moore wohl ganz anders vorgestellt, als er 1997 mit seiner „Alguita“ zur Transpac-Segelregatta in den rauhen pazifischen Ozean stach. Wahrscheinlich sehnte sich der passionierte Seefahrer, der schon seit seiner frühsten Kindheit am Steuer so manchen Bootes stand, nach den Herausforderungen, die das launische wie faszinierende Element auf dem 2500 Meilen langen Parcours für ihn bereithielt. Für die Momente dieses Rennens, so ahnt die Seele des Skippers, wird ihn das Leben nahe an sich heranpressen – gefährlich nahe. Doch während der Bug im steten Rhythmus der See fordernd am dunklen Tor des Wellenreiches anklopft, sattes Segel im prallen Wanst flatternd die schiere Himmelskraft zu bändigen sucht und das Meer mit harter Gischthand salzig nach der innigsten Frage des Abenteurers tastet, füllt sich mit jeder Meile auch das stolze Innere des Seemanns mit Antworten. Jeder Griff sitzt, schlummernde Talente werden freigelegt, die ihn begeistern, beleben, überzeugen … Reinheit der Natur hebt das Gemüt zum Höhenflug!
Irgendwo zwischen Los Angeles und Hawaii kippte jene romantische Liaison zwischen Kapitän Moore und dem Meer jedoch jäh, denn die Braut, die bisher in einem atemberaubenden himmelsblauen Wellenkleid den Schiffsrumpf umschmiegte, war plötzlich verunstaltet und in erbärmlichem Zustand! So weit das Auge blickte, verfingen sich im zuvor so reinen Tüll der See verbeulte Plastikflaschen, zerfetzte Tüten, Styroporbecher, verwaiste Deckel oder schimmernde Bruchstückchen von irgendwelchen Kunststoffutensilien, kurz: im kompletten Ozean vor und weit unter der Alguita hing ein grauer Schleier mit den Überresten all jener Gegenstände, die wir für unseren aufwendigen Lebensstil mit einem immensen Einsatz von Energie und Rohstoffen produzieren und binnen weniger Augenblicke auch wieder so sinn- und verantwortungslos „ent-sorgen“. Aus den Augen, aus dem Sinn.
Windstille. Moore befand sich ausgerechnet jetzt inmitten eines bekannten klimatischen „toten Winkels“, in dem er fast keine Fahrt mehr machen konnte. Wegen der Flaute benötigte er etliche Zusatztage, um dieses trostlose Gebiet zu durchqueren, was zwar einerseits Pech für den Kapitän, andererseits jedoch ein Glücksfall für die Erforschung des sich hier offenbarenden Problems bedeutete! Je länger er sich nämlich durch den Müll quälte, desto unheimlicher wurde dem Diplom-Chemiker das Ausmaß dieser stillen Katastrophe, um so bohrender allerdings auch seine Fragen! Wo war er hier hineingeraten? Wo kam all dieser Zivilisationsmüll her und welche Folgen würde diese massive Ansammlung an Kunststoff für das empfindliche Ökosystem der Meere wohl haben?
Der Pazifische Müllstrudel – Toilette ohne Abfluß
Was Moore und andere Wissenschaftler später in vielen Meßfahrten und Expeditionen an jener Stelle im Pazifik umrissen, war tatsächlich nicht die übliche Ansammlung von Unrat, wie man sie in der Küstennähe vieler Städte beobachten kann. Das im Ozean gesichtete Gebilde glich viel eher einer Müllinsel gigantischen Ausmaßes! So weiß man heute, daß die Ausdehnung dieser weltgrößten Mülldeponie der atemberaubenden Fläche von Zentraleuropa entspricht, andere Quellen gehen sogar von einem Gebiet aus, das annährend doppelt so groß wie die USA sei! 550 Meilen vor der kalifornischen Küste treibt, mit anderen Worten, ein geschlossener Müllteppich umher, der sich bis in eine Tiefe von 10 Metern erstreckt und dabei das Gewicht von 125 Millionen Tonnen auf ein Areal von vermutlich 18 Millionen Quadratkilometer verteilt! Auch wenn dieses „Eiland“ nicht begehbar und meist eher unter der Wasseroberfläche zu lokalisieren ist, so zeigen beispielsweise die im Strömungsgebiet liegenden Inselgruppen um Hawaii durch die an deren Stränden verteilten Unmengen havarierten Mülls, wie prallgefüllt die dubiose Dunstwolke in Wirklichkeit doch ist! Angesichts dieser drastischen Zahlen mag es nun um so erschreckender klingen, daß die schwimmende Trutzburg aus Plastik tatsächlich nur etwa ein Drittel des gesamten Plastikmülls ausmacht! Die restlichen 70 Prozent des Abfalls, so schätzen holländische Wissenschaftler, sinken bald ab und liegen danach in unterschiedlichen Konzentrationen unsichtbar auf dem Meeresgrund verteilt, wo die unterseeischen Deponien sämtliches Leben unter sich begraben.
Der Ozeanograph Curtis Ebbesmeyer mutmaßte schon einige Jahre vor der Entdeckung Moores, daß sich durch die riesigen Zirkulierungsströme unserer Ozeane auch Treibgut zusammenballen müßte. Der Grund für die massive Ansammlung von Zivilisationsabfall inmitten eines menschenleeren Fleckens liegt demnach in den klimatischen Bedingungen. Der Motor des „North Pacific Gyre“, des Pazifischen Zirkulationsstroms, sind zum Beispiel die in Nähe des Äquators aufsteigenden warmen Luftmassen. Durch die Erdbewegung und bestimmte Strömungskräfte, die die Wassermassen in Rotationsbewegungen versetzen, entsteht ein Strudel, der nun im Uhrzeigersinn so ziemlich alles Treibgut zwischen Japan auf der einen Seite und den USA am anderen Ende des Pazifiks mit einer Geschwindigkeit von elf Zentimetern pro Sekunde „aufsammelt“ und verdichtend in seinen Mittelpunkt drängt, bis dann ein Teil davon für immer auf den Grund sinkt. Zynische Stimmen sprechen hierbei nicht zu Unrecht von einer „Toilettenspülung ohne Abfluß“!
Neben dem Nordpazifikwirbel gibt es noch etliche andere „Meeresstrudel“ auf unserem Planeten – und in nahezu allen maritimen „Sammelanlagen“ fand man teils alarmierend hohe Konzentrationen an Müll, insbesondere Plastikmüll. Laut einer Studie der Vereinten Nationen (UNEP) treiben auf jedem Quadratkilometer der Weltmeere bis zu 18.000 Plastikteile, Dr. Richard Thompson von der Universität Plymouth schätzt dagegen, daß es an die 300.000 sind. Auf dem Grund der See ist es noch schlimmer, denn hier verteilen sich in einigen Gebieten gar bis zu 110 Plastikteile … auf jeden Quadratmeter!
6 Millionen Tonnen Plastik gelangen jedes Jahr ins Meer!
Von den 240 Millionen Tonnen Kunststoff, die jedes Jahr weltweit produziert werden, gelangen laut GESAMP, einem UN-Wissenschaftsgremium zur Untersuchung der Meeresverschmutzung, über sechs Millionen Tonnen als Abfall in die Meere und Ozeane unseres Planeten – wohl gemerkt: Jahr für Jahr! Viereinhalb Millionen Tonnen, also 80 Prozent dieses „Sondermülls“, werden auf dem Landweg verursacht, beispielsweise, wenn Haus- und Industrieabfälle von A nach B transportiert werden und der Fahrtwind oder mechanische Erschütterungen den auf der Ladefläche eines LKWs oder Zugs befindlichen Unrat in die Umwelt befördern. Weiterhin verlieren Mülldeponien einen nicht unerheblichen Teil ihres Abfalls durch Verwehungen. Besonders die unumzäunten „Deponien“ der Entwicklungsländer, die zu allem Überfluß noch meist in Küstennähe errichtet sind, emittieren aufgrund der uneingeschränkt „guten Flugbedingungen“ permanent große Mengen an Folien, Tüten oder Styroporresten. Mit einigen tausend Tonnen hat schließlich das „wilde Wegschmeißen“ des Mülls einen unnötigen Anteil an der ruhmlosen Bilanz. Laut einer Berechnung des „Marine Conservation Trust“ stammt beispielsweise sage und schreibe ein Drittel der an britischen Stränden liegenden Abfälle von Picknickmüll. Am Ende ist es immer der Wind, der die ganzen „Ausreißer“ an Land wieder einfängt und sie in seinem kindlichen Ringelreihen irgendwann arglos in die Flüsse und somit in die großen maritimen Ökosysteme bugsiert.
Die restlichen eineinhalb Millionen Tonnen entstehen direkt auf den Meeren der Welt, sprich auf Fracht-, Container-, Reise-, Fischfang- oder Fabrikschiffen. An Bord dieser Schiffe wird der Unrat nach wie vor entweder gleich über die Reling gekippt oder er wird beispielsweise nachts „elegant“ über eine heimliche Luke entsorgt, damit die Gäste von Kreuzfahrtschiffen nichts von dem wenig publicityträchtigen Treiben mitbekommen. Nach einer Schätzung der Meeresschutzorganisation „Oceana“ werden auf diese Art und Weise weltweit stündlich 675 Tonnen Müll direkt ins Meer geworfen, die Hälfte davon ist – man ahnt es schon – Plastikabfall! Außerdem verlieren Containerschiffe öfter als man annehmen mag in Stürmen große Teile ihrer Ladung, manchmal sogar ganze Container. Die Asservatenkammer der See ist dementsprechend voll mit Legosteinen, Turnschuhen oder bunten Badeentchen.
Der in den Ozeanen befindliche Plastikmüll ist aber bei weitem nicht nur ein ästhetisches Problem. Weitaus schlimmer wiegt die Tatsache, daß sich jährlich Hunderttausende von Seeroben, Delphinen oder Walen in den tückischen Maschen von gekappten Fischernetzen, in den handschellenartigen Verpackungsschlaufen von „Bierdosen-Sechserpacks“, durchsichtigen Nylonfäden oder in Getränkekästen verheddern und dabei elendig zu Grunde gehen.
Die eigentlich katastrophale Tragweite des Müllwahnsinns offenbart sich allerdings erst anhand eines äußerst brisanten Umstandes: Tiere essen Plastik – Plastik, das voll Gift ist! Bekanntlich essen Menschen wiederum Tiere, wodurch Kunststoff und das darin gespeicherte Gift schließlich auch in unseren Körper gelangt!
Die Tiere sterben bei vollem Magen!
Die wenigen „natürlichen Feinde“ des Kunststoffs sind in erster Linie Bakterien, das UV-Licht der Sonne, Hitze und die in den Wellenbewegungen steckenden mechanischen Kräfte, welche wie kleine Hammerschläge wirken. Das Plastik verliert durch die permanente Einwirkung dieser Zersetzungskräfte nach und nach große Anteile der für die Formgebung und Elastizität wichtigen chemischen Zusatzstoffe und wird dadurch mit der Zeit spröde und bald danach auch brüchig. So kommt es, daß das ermüdete Material durch das kolossale „Wassermahlwerk Pazifik“, je nach dem Stand seines Zersetzungszyklus’, von anfangs großen Fetzen in mikroskopisch kleine Teilchen zerlegt wird. Der Größe der „zerhäckselten“ Stücke entsprechend, bedienen sich in Folge die einzelnen Tiergattungen am tödlichen Nahrungsimitat! Schildkröten halten Überreste einer Einkaufstasche für Quallen, Wale verwechseln Plastiktüten mit Tintenfischen, Hochseevögel halten Feuerzeuge oder Stücke von Zahnbürsten für Fische und alle stillen sie ihren eigenen wie auch den Hunger des Nachwuchses mit nährstofflosen und giftigen Fetzen unterschiedlichster Größe. Wenn die Verdauungsorgane der Kreaturen nicht vorher schon von den teils scharfkantigen Gegenständen aufgeschlitzt werden oder die Mägen durch die nicht verdaubaren Bestandteile derart hoffnungslos verkleben oder verstopfen, daß die Tiere dabei jämmerlich zugrunde gehen, so verhungern die „Plastikfresser wider Willens“ am Ende ganz „ordinär“ bei vollem – aber mit Kunststoff gefülltem – Magen! Durch diese katastrophalen Umstände verenden zum Beispiel 20 Prozent der Albatross-Küken auf Hawaii innerhalb der ersten sechs Lebensmonate und sterben laut Greenpeace pro Jahr über eine Million Seevögel!
Die „Plastik-Demontage“ dauert 400 bis 700 Jahre!
Das Perfide an den synthetischen Stoffen ist jedoch, daß die durch den Zermahlungsvorgang schließlich entstehenden Mikrobruchstücke nicht gleichzeitig das „Ende“ des Materials und damit das Ende der „Plastik-Gefahr“ bedeuten. Hier beginnt, im Gegenteil, erst das Problem, denn die Partikel können in der nun vorliegenden Größe nur noch sehr langsam abgebaut werden! Je nach „Rezeptur“ benötigt die Natur zur vollständigen Demontage dieser Stoffe in seine ungefährlichen Molekularbestandteile zwischen 400 und 700 Jahre! Zudem entfalten die Plastikpartikel ihre eigentliche schädliche Wirkung gerade in jenen kleinen Dimensionen, wo sie durch ihre veränderten chemischen Eigenschaften zur idealen Haftstelle für die in den Weltmeeren üppig verteilten Giftstoffe werden. Die von Moore entdeckte „Dunstwolke“ aus Plastik gleicht, so gesehen, einem riesigen Schwamm, der vornehmlich wasserunlösliche und hochtoxische Substanzen, wie das in den Ozeanen herumschwimmende DDT oder PCB aufnimmt und dabei bindet! Im Vergleich zu Meeresgebieten mit geringem Plastikaufkommen, ist die Konzentration von Langzeitgiften in solch einem „Plastikschwamm“ um einige Millionen Mal höher!
Das Verhältnis von Plastik und Plankton: 60:1
Das mit Giften durchtränkte Partikelband bewegt sich zu allem Übel noch genau in jener schicksalhaften Tiefe von bis zu 10 Metern, in der auch das für die maritimen Ökosysteme äußerst wichtige Zooplankton zu finden ist. Plankton, der nährstoffreiche Äther der Ozeane, der aus Myriaden von Kleinstlebewesen wie Bakterien, Krebstieren, Fisch- oder Insektenlarven besteht, stellt für Fische, die in der Nahrungskette ganz unten stehen, das Grundnahrungsmittel dar. Bei nächtlichen Beutezügen verwechseln nun Schwärme aus Abertausenden kleinen Fischen, wie beispielsweise dem Laternenfische, die Plastikpartikel mit dem Zooplankton und fressen sich daran „satt“. Die so kontaminierten Laternenfische stehen als Leibgericht auf dem Speiseplan von Thunfischen, Schwertfischen oder Goldmakrelen – und die ißt wiederum der Mensch sehr gern.
In einigen Gebieten, wie im „Pazifischen Müllstrudel“, liegt mittlerweile das Mischungsverhältnis zwischen Mikroplastik und Plankton durch die stetige Emittierung von Kunststoffabfällen bei sagenhaften 60:1, Tendenz steigend! Von „Verwechslung der Nahrung“ kann im Anbetracht dieses vernichtenden Verhältnisses also gar nicht mehr die Rede sein – die Fische haben schlicht keine Chance, sich artgerecht zu ernähren! Hierzu schreibt der an diesen Forschungsergebnissen maßgeblich beteiligte Wissenschaftler Hideshige Takada: „In einigen Gebieten des Ozeans ist die Wahrscheinlichkeit höher, daß ein Fisch Plastik frißt als echte Nahrung!“ Durch die „Nahrungsverwechslung“ speichern Meerestiere die im Plastik angereicherten Gifte in ihrem Körper ab, die dann wiederum in der Nahrungskette nach oben „gereicht“ und addiert werden, bis sie schließlich in ihrer höchsten Dosis beim Menschen angelangen.
Die „Tränen der Meerjungfrau“ an allen Stränden
Mit Hilfe der in den Wassermassen steckenden Bewegungsenergie bahnen sich die Kunststoffpartikel ihren Weg sogar bis an die Strände manch beliebter Urlaubsgebiete, wo sie durch die intensive Reibung mit dem Meeresgrund noch kleiner werden und sich mit dem Sand vermengen. Die bei genauerem Blick teils sichtbaren kugel- und zylinderförmigen Plastik-Pellets sind mittlerweile an allen Stränden der Welt zu finden und empören wahrscheinlich nur deshalb die Öffentlichkeit nicht, weil sie im Sand schlecht auffallen. Fachleute nennen dieses Phänomen lyrisch die „Tränen der Meerjungfrau“ … in vielen Küstengebieten übersteigt die Menge dieser „Kunststofftränen“ sogar den Anteil an Sandkörnern!
Die Verpackung gelangt in die Nahrung!
Die Inventur eines gewöhnlichen Haushaltes verdeutlicht den folgenschweren Siegeszug des Kunststoffes. Der Anteil an Nahrung, die in Plastik verpackt ist, liegt in einem „EU-Kühlschrank“ bei mindestens 60 Prozent, wahrscheinlich aber weit darüber. Ob Butter, Käse, Joghurt, Getränke, Honig oder Obst und Gemüse, ständig kommt es zur direkten Berührung der Nahrung mit dem Plastik, und meistens führt dieser Kontakt – das muß klar sein – zur Kontamination mit mikroskopischen Plastikbestandteilen! Das Problem resultiert aus der molekularen Struktur des synthetischen Materials. Der aus Kohle, Erdgas und vornehmlich Rohbenzin umgewandelte Plastikrohstoff Benzin wird durch einen chemischen Prozeß, das „Cracken“, in kurze Kohlenwasserstoffmoleküle wie Ethylen, Propylen oder Butylen aufgespaltet. Durch die sogenannte Polymerisation, eine für die Plastikherstellung maßgebliche chemische Reaktion, werden aus den zuvor im Spaltprozeß entstandenen kurzen Molekülverbindungen Polymere, also lange, netzförmigen Molekülketten. Diese langen, ineinander verschlungenen Molekülbrücken geben dem Kunststoff seine elastischen und bruchfesten Eigenschaften, die jedes Produktdesignerherz höher schlagen läßt. Für den industriellen Gebrauch verarbeitet man die in unterschiedlichsten Variationen produzierten Polymertypen schließlich zu diversen Plastik-Pellet-Sorten, die dann wiederum mit einer Vielzahl von Zusatzstoffen zu den verschiedenen mehr oder weniger bekannten Kunststofftypen geformt werden. Pro Jahr produziert die Industrie so schätzungsweise 6 Billiarden Plastik-Pellets, die angesichts der noch zu geringen Recyclingquote zum größten Teil wieder in der Natur landen und … die „Meerjungfrau“ zum Weinen bringen. Leider sind die neukreierten Polymerketten nicht konsistent, das heißt, die hinzugefügten Zusatzstoffe bleiben nicht dauerhaft im Stoff gebunden, sondern werden durch Umwelteinflüsse, durch Säuren, Laugen und besonders durch Erhitzung wieder in die Umgebung freigesetzt, wo sie sich zur Gesundheitsgefahr entwickeln. Ob Hausstaub, Getränkeflaschen, Nahrungsverpackungen, Kleidungsstücke oder Ausdünstungen im Auto – überall essen, atmen oder trinken wir Plastikpartikel, die, wie man heute weiß, für viele Krankheiten mitverantwortlich sind!
Bisphenol A: Gift auf verhängnisvollem Freigang
Mit einer Jahresproduktion von zirka 4 Millionen Tonnen ist Bisphenol A eine der weltweit wichtigsten Industriechemikalien überhaupt. Dort, wo widerstandsfähiges, hitzebeständiges Plastik – wie bei Babyflaschen, Plastikbehältern und Mikrowellengeschirr – vonnöten ist oder Epoxydharze in Lacken, Klebern, Folienverpackungen sowie Beschichtungen Verwendung finden, kommt das Kunststoff Polycarbonat (PC) mit seinem essentiellen Zusatzstoff Bisphenol A zum Einsatz.
Die Verbreitung dieser Chemikalie schlägt sich jedoch auch in den besorgniserregenden Zahlen einer Untersuchung nieder, die an über 2.500 US-Amerikanern durchgeführt wurde: Bei 92,6 Prozent der hier getesteten Probanden konnten die Wissenschaftler BPA im Urin feststellen! In einer anderen Untersuchung wurde die Chemikalie ferner im Blut, Fruchtwasser, Gebärmuttergewebe und im Blut der Nabelschnur nachgewiesen. Nun ist es wichtig zu wissen, daß BPA als „endokrin wirkende Substanz“ eingestuft wird, was im Klartext nichts anderes bedeutet, als daß es in seiner Wirkung dem weiblichen Hormon Östrogen ähnelt und somit unter anderem Einfluß auf den Stoffwechsel, das Immunsystem sowie die Organentwicklung hat. Tatsächlich wird BPA mit der verfrühten Geschlechtsreife bei Mädchen, mit Allergien, Herzerkrankungen, Diabetes Typ 2, Prostata- und Brustkrebs, sowie die Abnahme der Spermienzahl und Fehlbildungen der Sexualorgane in Verbindung gebracht. Im Tierversuch zeigte sich, daß mit BPA behandelte Mäuse extrem fettleibig werden und sich deren Brustdrüsen anormal vermehren. Außerdem wurden an den Versuchsmäusen auch eine Vergrößerung der Prostata und eine Veränderung des Gehirns festgestellt.
Angesichts eines Jahresumsatzes von 800 Milliarden Euro und über einer Million Beschäftigten kann man sich die politische Macht der Plastikindustrie und damit auch deren Einflußmöglichkeit auf die hitzig geführte Gesundheitsdebatte um BPA ausmalen. Trotz der Beweislast und des akuten Handlungsbedarfes kann es sich die Plastik-Lobby hier noch immer leisten, das alte „Gutachten-Gegengutachten-Spiel“ zu spielen, ohne mit ernsthaftem politischen Gegendruck rechnen zu müssen. Während nämlich die „Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit“ (EFSA) kein erhöhtes Gesundheitsrisiko durch BPA und somit keinen Handlungsbedarf sieht, warnen fast alle öffentlich finanzierten Studien in Europa und Übersee vor großen gesundheitlichen Problemen. Wichtig zu wissen: Die „Unbedenklichkeitsstudie“ der EU wurde seinerzeit von den wichtigsten BPA-Herstellern, wie BASF und Bayer „gesponsert“ … ein Schelm, wer sich mehr dabei denkt!
Phtalate: Tückische Weichmacher
Zwischen Bisphenol A und den sogenannten Phtalaten gibt es von der Verbreitung bis zu den „Nebenwirkungen“ viele Parallelen. Mit einer Jahresproduktion von etwa 5 Millionen Tonnen ist auch diese Chemikalie ein wichtiger Grundstoff in der Industrie und, der Verbreitung entsprechend, läßt sich auch dieser Stoff in so ziemlich jedem Menschen auf dem Planeten wiederfinden. Die im PVC gebundenen Phtalate sind zum Beispiel für die Geschmeidigkeit und Elastizität von Bodenbelägen, Rohren und Kabeln, Teppichböden, Babyartikeln, Kinderspielzeug oder Kunstleder verantwortlich. Ohne diese Weichmacher wäre das Material hart und spröde – oder anders ausgedrückt: Je weicher und elastischer ein Plastikgegenstand ist, desto mehr Weichmacher sind darin auch eingebunden. Im Gegensatz zu Bisphenol A sind die Phtalate jedoch nicht fest mit dem Kunststoff verbunden, sondern sie umgeben die langkettigen Polymere eher wie ein feiner molekularer Schmierstoff. In Folge dieses losen Verbundes können die Weichmacher auch relativ schnell verdampfen, ausgewaschen oder abgerieben werden. Lebensmittel, die in diese Art Folie eingewickelt sind, haben zudem das Problem, daß die so austretenden Phtalate geradezu magnetisch von deren Fetten angezogen werden und dadurch die Nahrung enorm mit Weichmachern anreichern. Im Tierversuch kristallisierten sich auch bei den Phtalate nahezu dieselben krebserregenden, fortpflanzungshemmenden und degenerierenden Wirkungen wie bei Bisphenol A. Die sich allmählich durchsetzenden Verbote der giftigen Weichmacher beinhalten bisher allerdings noch nicht die Gegenstände, bei denen der Kontakt per Luft, Haut oder Staub stattfindet. Gerade hier sehen viele Wissenschaftler jedoch noch eine große Gefahrenquelle …
Ausbilden, aufklären, Alternativen fördern!
Auf der Internetseite „www.reset.to“ findet man fünf simple Tips, um Plastikmüll und damit Leid zu vermeiden:
• Benutze Deine Einkaufstasche und verzichte auf Plastiktüten!
• Trinke Wasser aus Glasflaschen und verzichte auf Einweg-Plastikflaschen!
• Recycle Plastik so oft wie möglich!
• Entsorge Deinen Müll anständig und schmeiß ihn nicht einfach weg!
• Mache Freunde und Verwandte auf ihren Plastikkonsum aufmerksam und ermutige sie, auf Plastik zu verzichten!
Wer sich und seine Umwelt vor den Folgen des Plastikwahnsinns schützen möchte, muß bei seinem „Umwelt-Bewußtsein“ beginnen und zur Entfaltung dieses Bewußtseins führt eben kein Weg an der Vertiefung, der eigenen Ausbildung vorbei. Hierbei helfen Bücher, der Austausch mit engagierten Mitmenschen aber auch Filme, wie der kürzlich angelaufene Dokumentarfilm „Plastic Planet“ (www.plastic-planet.de) vom österreichischen Regisseur Werner Boote. Der interessante wie spannend Film und die dazugehörige Webseite geben einen wichtigen Eindruck über den aktuellen Stand der Forschung und bieten zudem nutzvolle Entscheidungshilfen für den Alltag.
Der fehlgeschlagene Klimagipfel in Kopenhagen verdeutlicht, daß es schlicht ein Relikt vergangener Tage ist, auf Weisungen und Marschbefehle der Regierenden zu warten und in der Zwischenzeit jegliche Eigenverantwortlichkeit auf Eis zu legen. Die Patentlösung am runden Tisch wird es im bunten Kosmos der Meinungen und Eigeninteressen nicht mehr geben. Das vorwurfsvolle Schimpfen auf die Mächtigen verhüllt hierbei doch nur das eigene Desinteresse am Thema und die peinliche Trägheit. Lamentieren ist angesichts des drohenden Umweltkollapses eine gefährliche Zeitverschwendung. Auch wenn es abgegriffen klingt, so kann dennoch jeder im Kleinen etwas verändern – regional, vor Ort, vor der eigenen Haustür, beim eigenen Verhalten! Bis diese Pflicht gegenüber unseren Mitgeschöpfen und Mutter Natur verwirklicht ist, werden wir jedoch nicht umhin kommen, das auf Jahrhunderte angelegte Plastikproblem im wahrsten Sinne des Wortes auszulöffeln!