lebenswertes

Yann Arthis-Bertrands „Home“ – Blicke aus der Himmelswarte

Treffen sich zwei Planeten im Weltall. Sagt der eine: „Du siehst aber schlecht aus!“ Der andere Planet hüllt sich in Wolken und antwortet: „Mir geht es auch nicht gut, ich habe Homo Sapiens.“ – „Ach so!“ erwidert der erste Planet beruhigend, „das hatte ich auch schon einmal, das geht vorbei!“

So skurril und zynisch dieser Witz sich auch anhören mag, die Untersuchung eines fiktiven kosmischen Arztes an der kranken Mutter Erde würde wohl wirklich ein aggressives Virus oder gar ein dunkles Geschwür namens Mensch als Diagnose hervorbringen und dadurch zwingend einschneidende Maßnahmen zur Gesundung erfordern!

Tatsächlich könnte sich dieser kleine, makabere Kalauer angesichts der katastrophalen Tragweite menschlichen Handelns und dem daraus resultierenden Tempo der globalen Zerstörung schon recht schnell zur bitteren Realsatire entwickeln. Wollte man das bizarre Szenario nämlich nur kurz weiterspinnen, dann wäre es, analog zu den aus der Erde hervorgegangenen Körpern, durchaus vorstellbar, daß auch am großen Erdenkörper in Notsituationen ähnliche Regelmechanismen greifen wie bei den kleinen Organismen auf ihr.

Bei der darbenden Patientin Erde würden also, wie bei jeder anderen Kreatur, zur schieren Existenzsicherung ab einem kritischen Zeitpunkt gigantische Selbstheilungskräfte in Gang gesetzt werden, um dem rücksichtslos wütenden „Energiefresser“ gleichsam in Fieberschüben, Schüttelfrost oder Schweißausbrüchen, also in weltumspannenden „Entgiftungsvorgängen“, schließlich den Garaus zu machen! In einem weisen Balanceakt, das zeigt die Geschichte des blauen Planeten jedoch, würde die Existenzgrundlage des auf ihr befindlichen und wie auch immer gearteten „guten“ Lebens aber höchstwahrscheinlich erhalten bleiben. Wohlgemerkt: das gute, schützenswerte Leben hätte durch sein synergetisches wie „lebenskonformes“ Auftreten, durch seine paßgenaue „Stromlinienform“ im Kräftegefüge eine Überlebenschance … jener paradox anmutenden Lebensform Homo Sapiens, die sich bis heute in einem destruktiv expansiven Dialekt lediglich zum ureigenen Wohle zu artikulieren vermag, wäre in Folge des Genesungsprozesses logischerweise schnell die Existenzgrundlage entzogen!

Die große Hoffnung am Vorabend unabwendbar scheinender epochaler Veränderungen, die der Gattung Mensch trotz ihres unrühmlichen Auftrittes noch verbleibt, liegt in der Güte seines Mutterplaneten, denn die bevorstehenden Abwehrreaktionen richten sich nicht per se gegen den Menschen, sondern ausschließlich gegen sein schädliches Verhalten!

Natürlich stehen bei rein logischer Betrachtung hinter der verklärten Personifizierung der Erde und ihrem metaphernhaft umschriebenen „bewußten Handeln“ letztlich stets selbsttätig wirkende Gesetzmäßigkeiten, die das Geschehen mit einem unaufhaltbaren Drang zum gesunden, also nachhaltigen Ausgleich der Ökosysteme befeuern und jedwede Extremtat eines Akteurs – unberührt von dessen Wohlwollen, Widerstand oder Flehen – hin zu einem für alle dienlichen Prinzip kompensieren … das kann man durchaus über jede ideologische Grenze hinweg akzeptieren, selbst wenn man nicht an eine „Pachamama-Romantik“ glauben möchte und der Welt im Zuge der aktuellen wissenschaftlichen Dominanz ein mütterliches Antlitz verwehrt!

„Home“, das 2009 erschienene Regiedebüt des französischen Kameramanns und Umweltaktivisten Yann Arthus-Bertrand, ist ein Werk, das bei seinem lehrreichen Engagement für den Naturschutz genau auf diese gleichnishaft erklärende Sicht der Dinge baut und hierbei konsequent auf die in jenem „Erkenntnismodus“ sich kristallisierenden intuitiven Querverbindungen setzt. Damit dieser kontemplative Zauber in dem Streifen überhaupt gelingen konnte, entschied sich der Filmemacher für die gravitätische Vogelperspektive, welche er handwerklich mit Hilfe einer der technisch ausgefeiltesten Hubschrauberkameras aufwendig in Szene setzte. Herausgehoben aus dem kräftezehrenden Labyrinth des Alltags, weitab „unüberwindbarer“ menschlicher Interessenskonflikte, zeichnet der Regisseur so das wundervolle Gesicht der Erde nach und kreierte in Hunderten von Drehtagen mit Blick auf über 50 Länder eine einzigartige Bestandsaufnahme des Heimatplaneten, die durch ihre langsamen, geradezu fließenden Kamerafahrten und mosaikartigen Bilder tief beeindruckt – angesichts der aus dieser Perspektive klar ersichtlichen Umweltsünden aber oft genug auch heilsame Empörung im Publikum weckt!

Erstaunlicherweise hinterlassen die Blicke aus der Himmelswarte der Kamera trotz der teils erheblichen räumlichen Distanz zur Erde einen ungeahnt gut umrissenen Eindruck der Dinge, so daß plötzlich, inmitten des Films, auch das schimmernde Lebensfloß im Dunkel des Alls in eine für den Zuschauer „be-greifbare“ Nähe rückt! Dieser hochemotionale „Erstkontakt“ mit Mutter Erde, der dem aufmerksamen Betrachter irgendwann deutlich spürbar wird, könnte, so der Wunsch des Regisseurs, das nötige Verantwortungsbewußtsein für den schutzbedürftigen Planeten wecken und den Menschen in dieser hohen Stunde zur gebotenen Vernunft bewegen.

Arthus-Bertrand baut auf diese Berührung, auf die Personifizierung des Wesens Erde, und er gibt den frisch erwachenden Knospen dieses Bewußtsein die stützende Botschaft mit, daß es für lähmenden Pessimismus längst zu spät ist! Der Menschheit verbleibt trotz der massiven Umweltprobleme, so der Regisseur, noch ein schmales Zeitfenster von etwa 10 Jahren, in dem sie ihre Geschicke noch in den eigenen Händen hält. Die nötige Glaubwürdigkeit verleiht der Filmemacher seinem Werk durch die Tatsache, daß er die Vermarktungsrechte seines (übrigens CO2-frei gedrehten) Streifens hintanstellte und „Home“ am Tag der Kinopremiere gleichzeitig ins Internet stellte, wo er seither einen faszinierenden Freiflug bietet.

Die Sicht von oben birgt allerdings auch ein Risiko, denn aus luftiger Höhe finden sich die dargebotenen Formen wie von selbst zu teils zeitlos abstrakten, teils farbenprächtigen, verträumten Kunstwerken zusammen, so daß bald alle Objekte vor der Linse, ob in der Detailansicht nun „schön“ oder „häßlich“, ästhetisch wirken und in dieser Tendenz die Aussage des Films verwässern könnten. Tatsächlich erscheinen beispielsweise auch die groteske, bis an den Horizont reichende Treibhaus-Plastikwelt Südspaniens, die monströsen Begrünungsanlagen der arabischen Wüste, ja selbst die afrikanischen Müllkippen, in denen die Ärmsten der Armen nach Essen suchen, von der watteumpackten Stille dort oben wie eigenartig schöne Gebilde! Wäre „Home“ in seiner Konzeption nicht ein durch und durch pädagogischer Film mit einer handfesten „Mission“, er würde an dieser Nahtstelle, wie viele andere gutgemeinte Dokumentationen, im emotionalen Wehklagen über den Verlust einzigartiger Natur enden oder im alleinigen Präsentieren möglichst spektakulärer Naturaufnahmen in Schönheit untergehen. So rütteln letztlich die affirmativen wie auch oft schockierenden Kommentare der Erzählstimme den Zuschauer an jenen Stellen wach, in denen die ganzheitliche Sichtweise durch ihre Losgelöstheit Gefahr läuft, zur apathischen Verwunderung bei offenem Mund oder zur wohligen Passivität im fröhlichen Bildrausch zu kippen.

Bei einem ambitionierten Werk wie „Home“ stellt sich die Frage, wie weit man das Faktenwissen vertiefen muß, damit sich der Wunsch nach Veränderung zum Guten auch in der Tat zeigt. Wie viele Fakten benötigt man angesichts der leidigen Suche nach handfesten Beweisen für die schädlichen Auswirkungen menschlichen Handelns?

Für die Anzettelung des Irakkrieges genügten seinerzeit ja eine Handvoll abenteuerlicher „Beweise“, um binnen weniger Tage Milliarden US-Dollars aufzutreiben und Massen zum Töten entschlossener Menschen um ein fragwürdiges Kriegsbanner zu scharen. Für die Rettung der Erde, auf der jede dritte Amphibie, jedes vierte Säugetier und jeder achte Vogel vom Aussterben bedroht ist, befeuern aus dubiosen Quellen bezahlte Wissenschaftler und Politiker noch leidenschaftlich kontrovers eine überflüssige Debatte über den Wahrheitsgehalt eines vom Menschen beeinflußten Klimawandels und blockieren somit die Handlungsbereitschaft der Massen! 20 Prozent der Weltbevölkerung verbrauchen nun einmal 80 Prozent aller Ressourcen! Die Waffenausgaben der Welt sind eben zwölfmal so hoch wie alle Entwicklungshilfe zusammengenommen! 5.000 Menschen sterben pro Tag durch die Folgen verschmutzten Wassers, und eine Milliarde Menschen leiden gerade im Augenblick an Hunger, wo doch gleichzeitig 50 Prozent des weltweit gehandelten Getreides für das Viehfutter und den Biotreibstoff der reichen Länder verwendet wird … Punkt! Was muß man da noch wissen, um endlich die konzertierte, multilaterale Tat ins Leben zu rufen?

Arthus-Bertrand meint hierzu: „Das Problem ist, daß wir nicht glauben wollen, was wir eigentlich wissen. […] Alles, was in dem Film zu sehen ist, ist bekannt, aber niemand will es wahrhaben. Es ist wie eine Art kollektive Verweigerung.“

In einer Epoche, in der Endzeitszenarien in Literatur und Kino Hochkonjunktur haben und Bilder vom entvölkerten und zerstörten New York trotz schlechter Drehbücher Kassenschlager werden, kommt der leise Verdacht auf, daß der Mensch mit seinem unheilschwangeren Gebaren sich insgeheim nach einer möglichst radikalen und eindeutigen Antwort aus dem „All“ oder sonst woher sehnt, um so endlich mit stahlharter Gewißheit die Beantwortung seiner bohrenden Frage zu erhalten, ob er im kosmischen Plan wirklich so einsam ist, wie er sich in seiner eigenen Innenwelt schon längst wähnt …

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