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Das Richtige zu tun ist wichtiger, als all die frommen Sprüche – Interview mit dem Bestsellerautor Dr. Franz Alt

Wie kam es zu dem äußerst erfolgreichen Buch „Ethik ist wichtiger als Religion“ und Ihrer Zusammenarbeit mit dem Dalai Lama?

Franz Alt: Ich kenne den Dalai Lama nun schon über 35 Jahre. Die Art und Weise, wie wir zusammengefunden haben, war speziell. Ich habe damals, um der Zensur zu entgehen, heimlich einen Film über die Zustände in Tibet nach der Okkupation durch die Chinesen gedreht. Diesen Beitrag haben wir 1982 in der ARD ausgestrahlt, just zu dem Zeitpunkt, als der Dalai Lama zum ersten Mal in Deutschland war.
Als er von dem Film hörte, ließ er mich anrufen, um zu fragen, ob ich ihm den Beitrag nicht privat zeigen könnte, und diesem Wunsch bin ich natürlich gerne nachgekommen. Ich werde dabei nie vergessen, wie ihm während der Vorführung die Tränen in den Augen standen. Als das Licht dann wieder anging, drehte er sich um, nahm mich kurzentschlossen in den Arm und sagte mir, daß er mich immer sehen möchte, wenn er in Europa ist, und ob wir nicht Freunde werden könnten. So fing alles an.

Der Titel „Ethik ist wichtiger als Religion“, den wir für das Buch gewählt haben, trifft einen Nerv unserer Zeit. Viele Menschen, ob gläubig oder nicht, verzweifeln ja mittlerweile an den Religionen, weil sie tagtäglich als Alibi für schlimme Gewalttaten mißbraucht werden. Ich weiß noch, als ich dem Dalai Lama nach einer besonders grausamen Bluttat der „IS-Halsabschneider“ sagte, wie wütend es mich macht, daß einige Wenige es immer wieder schaffen, eine ganze Religion vor ihren extremistischen Karren zu spannen.
Er entgegnete mir damals schon, daß es nur dann besser werden kann, wenn auch die Religionsführer sich endlich an dem kritischen Diskurs beteiligen! Es reiche einfach nicht aus, wenn er oder andere Oberhäupter bei solchen Ereignissen gebetsmühlenartig sagen, das alles habe mit Religion nichts zu tun! Man sollte sich viel mehr die Frage stellen, warum gerade Religionen ständig derart mißbraucht werden können, wenn deren ursprüngliche Botschaft doch immer auf Werten wie Frieden, Toleranz oder Liebe fußt.
Das Faß zum Überlaufen brachte dann der Anschlag auf das Satiremagazin Charlie Hebdo. Am Tag danach sagte der Dalai Lama den starken Satz: „Er denke an manchen Tagen, es wäre besser, wenn wir gar keine Religionen mehr hätten! Alle Religionen und alle heiligen Schriften bergen ein immenses Gewaltpotential in sich. Aus diesem Grund brauchen wir eine säkulare Ethik jenseits aller Religionen!“
Der Dalai Lama wollte aufgrund der vielen religiösen Gräueltaten einfach als erster Führer einer großen Religion Klartext reden. Das daraufhin entstandene Buch ist die Summe mehrerer Begegnungen und Interviews, in denen er zu erklären versucht, weshalb eine universelle Ethik uns weiterbringt, als eine auf starren Regeln basierende Religion.

 

Wieso scheitern gerade Vertreter monotheistischer Religionen seit jeher so – man muß ja fast schon sagen – „verläßlich“ an den wichtigsten universellen Grundsätzen einer jeden Heilslehre: Liebe, Toleranz und Vergebung?

Franz Alt: In meinem Buch „Was Jesus wirklich gesagt hat“ habe ich schon darauf hingewiesen, daß Jesus seinerzeit eigentlich aramäisch gesprochen hat. Die heutigen Bibeln wurden allerdings alle aus dem Griechischen übersetzt; da muß es ja zwangsläufig zu Mißverständnissen und Fehlern gekommen sein!
Dasselbe sagen mir übrigens auch muslimische Theologen. Zur Zeit Mohammeds war im Nahen Osten nicht Arabisch die Hochsprache, sondern ebenfalls Aramäisch. Alle heiligen Schriften wurden durch fehlerhafte Interpretationen bei der Übersetzung stark verfälscht und sind deshalb heute oftmals weit entfernt von den ursprünglichen Aussagen der Religionsstifter.

Ein anderer Aspekt ist, daß die Menschheit stammesgeschichtlich betrachtet immer schon sehr patriarchal geprägt war. Das bringt aufgrund des männlichen „Gestaltungswillens“ Kampf, Verteidigung, Behauptung und Machtspielereien mit sich. Als der Homo Sapiens seßhaft wurde, gab es halt keine Demokratie, keine Justiz, keine Gesetze, es gab in einer sehr rauen Männerwelt nur das Faustrecht. Der Vorteil war so gesehen viel zu lange auf der Seite der Einzelkämpfer und Egoisten.

Die Religionen schafften es im Laufe der Jahrhunderte hier eine zivilisatorische Grundordnung herbeizuführen, indem sie sehr eindringlich darauf hinwiesen, daß wir hier auf Erden, wie auch später im Jenseits einer überirdischen Instanz Rechenschaft abzulegen haben. Im Bewußtsein der Menschen wurde fortan Schuld, Erbsünde und Sühnezwang dominant – und ein argusäugiger Schöpfer, der all das sieht und ahndet.
Das Faustrecht war deswegen aber noch lange nicht abgeschafft, vielmehr nutzten es religiöse Institutionen und deren Vertretern, um ihre moralischen Ansprüche durchzusetzen. An dieser Machtfülle und dem damit zwangsläufig sich einstellenden Machtmißbrauch kranken die institutionellen Religionen bis heute. Man muß sich zudem vorstellen, welche Haltung und Denkweise durch ein derartiges Vorbild bei den Gläubigen geprägt wurde …

Vielleicht benötigten die frühen Gesellschaften Strafandrohung und moralische Institutionen wie die Kirche, um nicht im Chaos zu versinken. Heute, im digitalen Zeitalter, haben wir jedoch alle Möglichkeiten, um uns rasch zu mündigen, eigenverantwortlichen Wesen zu entwickeln! Die Belebung unserer Vernunft durch das tiefere Verständnis einer universellen, religionsübergreifenden Ethik würde die moralische Instanz wieder zurück in unsere Seelenmitte bringen und Entscheidungen sowie die daraus resultierenden Taten zu einer echten Gewissensangelegenheit machen!
Der Anstoß des Dalai Lama, „Ethik ist wichtiger als Religion“, ist für mich deshalb so etwas wie eine geistige Revolution! Überlegen Sie einmal: da steht zum ersten Mal ein Religionsführer auf, um sich selbstkritisch zu Wort zu melden. Er scheut dabei auch nicht davor zurück, seine buddhistischen Glaubensbrüder in Burma heftig zu kritisieren. Die Tendenz geht eindeutig hin zu weniger Gewalt und mehr Frieden. Immer mehr Menschen wachen auf. Die Welt wird zivilisierter.

 

Zivilisierter vielleicht schon, aber nicht friedlicher! Ich würde hier gerne Jean Ziegler zitieren: „Hunger, Seuchen, Durst und andere armutsbedingte Lokalkonflikte töten jedes Jahr fast genauso viele Männer, Frauen und Kinder, wie der Zweite Weltkrieg in sechs Jahren!“. Was bringt die Zügelung der Gewalt durch moralische Konventionen oder durch Strafandrohungen, wenn wir das ethische Fundament dahinter nicht verinnerlicht haben und nicht wissen, warum das Gute gut ist?!

Franz Alt: Bei aller berechtigten Kritik bleibt dennoch festzustellen, daß das Gewaltpotential auf der Welt in den letzten 10.000 Jahren rückläufig ist! Laut Steven Pinker, einem Evolutionspsychologen, ist die weltweite Mordrate heute viel geringer als früher. Zu Zeiten Jesu lag der jährliche Durchschnitt pro 100.000 Menschen bei 50 Morden. Im europäischen Mittelalter waren es 30 Morde pro 100.000 Menschen. Und heute gibt es bei derselben Anzahl Menschen im Durchschnitt nur noch einen Mordfall pro Jahr! Jede Gewalttat ist eine zu viel, sicher, betrachtet man die großen Entwicklungen aber rein statistisch, so gibt das schon Grund zum Optimismus.

Wir haben im 20. Jahrhundert durch die großen Vertreter der Tiefenpsychologie oder im 21. Jahrhundert durch die Vertreter der Gehirnforschung zudem gelernt, daß Gewalt und Konfrontation nicht das Einzige ist, was in uns schlummert. In uns ist im selben Maß auch die Fähigkeit zur Kooperation angelegt. Gewaltfreie Veränderung ist also möglich. Es gibt hierzu eine interessante Studie von zwei US-amerikanischen Wissenschaftlerinnen, die 130 Konflikte im 20. Jahrhundert untersucht haben. Man stellte hierbei erstaunlicherweise fest, daß in der gleichen Zeit fast doppelt so viele Konflikte gewaltfrei gelöst werden konnten!

Alle großen Wahrheitsbringer haben uns gelehrt, daß Gewaltfreiheit intelligenter ist. Das sagt uns heute auch die Hirnforschung. Die Neuropsychologen, die Neurologen, die Neurobiologen auf der ganzen Welt sagen, es ist nicht wahr, daß unser Gehirn so organisiert sei, daß es immer Gewalt ausüben muss.
Natürlich muß jeder selbst ergründen können, warum gut gut ist und ab wann das Gute ins Böse kippt. Die Beantwortung solcher Fragen führt ja eigentlich erst zum Menschwerden! Eine ethische Betrachtungsweise würde die Gewissensfragen hierbei stets individuell beantworten, weil sie uns nicht mit holzschnittartigen Schwarz-weiß-Antworten zurücklassen würde. Wer die „Gesetzmäßigkeiten“ des Geistes versteht, der muß nicht auf spezifische Antworten und Lösungen zurückgreifen, die eine äußere moralische Instanz irgendwann einmal für gut befunden hat!
Damit mich aber keiner mißversteht: Ich wünsche mir, daß die Religionen weiterhin wertvolle Anregungen liefern. Die religiösen Institutionen müssen aber ihren Stellenwert als einfache Seelsorger verstehen und klar darlegen, daß am Ende des Tages jeder Mensch selbst für seine Taten verantwortlich ist! Jesus hat bei jeder Heilung gefragt, „Willst Du gesund werden?“! Das kann man heute noch im Neuen Testament nachlesen. Das war die alles entscheidende Frage. Du mußt selbst gesund werden wollen, an Deiner Heilkraft arbeiten! Selbstverantwortung war und ist also die Voraussetzung für jedwede Form von Heilung!

 

Wenn jeder Unsicherheit, wie es so schön heißt, tatsächlich die Tendenz zur Dogmatisierung innewohnt, dann ist die Verunsicherung in den säkularisierten Gesellschaften des Westens vielleicht auf den Verlust gewohnter, dogmatischer Glaubenssysteme zurückzuführen. Kann denn der Mensch mit seiner neu gewonnenen Freiheit nichts anfangen? Sehnt er sich tatsächlich noch immer nach Führung, Dogma und Denkverboten?!

Franz Alt: Es gibt viele Beispiel dafür, daß die Menschen sehr wohl etwas mit neu gewonnener Freiheit anfangen können. Leider gibt es eben auch immer noch sehr viele Gegenbeispiele. Wie die Welt tatsächlich ist, ist schwer zu sagen. Wie sie sein kann, liegt aber daran, worauf ich mich in meiner persönlichen Sicht einlasse und was ich dadurch in meinem Leben kultiviere! Der Neonationalismus unserer Tage ist ein Beispiel dafür, daß viele Menschen mit der neu gewonnen Freiheit, hinter der ja im Grunde immer ein gewisser „Eigenverantwortungsdruck“ steckt, wohl nicht viel anzufangen wissen.

Geschichte ist aber, das muß man eben auch berücksichtigen, nie geradlinig verlaufen. Geschichte läuft immer in scharfen Kurven; mal geht’s scharf nach rechts, dann geht es weit nach links und dann pendelt sich das irgendwann wieder ein. Momentan sind wir in einer Phase, in der nationale Grenzen und nationales Denken eine große Rolle spielen. Das wird aber nicht so bleiben. Wir vergessen oft, daß sich bei extremen politischen Manifestationen immer recht bald schon Gegenbewegungen gebildet haben. Herr Trump beispielsweise setzt durch seine nationalistische Agenda „America first“, durch den blanken Rassismus und Sexismus, den er Tweet um Tweet offenbart, auch massive Gegenkräfte frei. Beispielsweise boomt der Qualitätsjournalismus in Folge der vielen krassen Halbwahrheiten und Lügen. Trump lügt ja durchschnittlich – fantastisch von der Washington Post mit Zitat und Faktencheck dokumentiert (www.washingtonpost.com/graphics/politics/trump-claims-database) – fünfmal am Tag! Wer hat sich früher die Mühe gemacht, die Lügen eines Präsidenten so akribisch zu dokumentieren? Andererseits entwickelt sich diese kreative Herangehensweise zu einer Art „Kontrollorgan“ der Zivilgesellschaft … Der kommende Präsident wird das sicherlich im Hinterkopf behalten!
Noch eine kleine Anekdote am Rande. Herr Trump ist ja bekanntlich aus dem Pariser Klimaschutzabkommen ausgetreten, aus einem beachtlichen Vertragswerk also, dem annähernd alle 195 Regierungen dieser Welt zugestimmt haben. Juristisch kann dieser Austritt allerdings erst am 4. November 2021 rechtskräftig werden. Und jetzt raten Sie mal, wann die nächste Wahl in den USA ist? Einen Tag davor!
Eine Pointe der Geschichte, wie man sie sich kaum interessanter und lustiger vorstellen kann. In vielen US-amerikanischen Zeitungen ist nun inzwischen zu lesen, daß dreiviertel der Republikaner für mehr Klimaschutz seien, also gegen Kohle und für erneuerbare Energie! Ich bin mir sicher, die Amerikaner werden Trump abwählen! Der Austritt aus dem Klimaschutzabkommen wird meiner Ansicht nach gar nicht in Kraft treten.

Was in den USA mit Trump stattfindet, erscheint jenseits der politischen Debatte viel eher wie die natürliche Abfolge einer im Zerfall befindlichen Gesellschaft. Die Fliehkräfte in diesem neoliberalen, religiös-rassistischen Monster sind riesig, so daß Trump nur so etwas wie eine „Zeigerpflanze“ für den inneren Zustand ist. Mir stellt sich die Frage, wie Sie die mittlerweile weit verbreitete „Trumpisierung“ der Welt betrachten. Haben Sie keine Angst?

Franz Alt: Auch ich sehe Trump als Vertreter eines sehr speziellen Weltbildes: patriarchal, sexistisch, wütend, rassistisch, nationalistisch – er ist also absolut kein Vertreter des neuen Denkens! Wenn ich allerdings die Geschichte der USA betrachte, dann sehe ich trotz dessen keinen Grund zur Beunruhigung.
Erst vor kurzem wählten die Amerikaner den ersten farbigen Präsidenten. Wer hätte das vor 10 Jahren noch für möglich gehalten? Danach hätten die US-Amerikaner sogar beinahe noch eine Frau ins Oval Office gewählt. Jetzt haben wir halt den Trump. Und? Wir leben in einer Welt, die permanent Emanzipationsschübe erhält, aber immer wieder auch Rückschläge erleidet. Der Weltgeist schlägt manchmal Pirouetten, die wir uns mit unserem Spatzenhirn kaum vorstellen können. Aber der Geist und mit ihm die Vernunft bahnt sich doch stets einen neuen Weg.
Zudem: Wir jammern heute über Trump, Erdogan, Putin und Co., dabei vergessen wir eines: wenn man mal einige Jahrzehnte zurückblickt, wen hatten die Menschen damals denn? Einen Herrn Hitler, Stalin, Mussolini! War das besser?! Wir denken oft so geschichtslos. Wenn man in historischen Dimensionen denkt und sein Aufmerksamkeit auf die großen Zusammenhänge richtet, dann haben wir im Vergleich zu früher riesige Fortschritte gemacht. Ich bleibe dabei: insgesamt entwickelt sich Geschichte in eine positive Richtung! Ich würde sogar sagen, das ist zielgerichtet.

 

Unsere Gesellschaft wird momentan stark von diffusen Ängsten dominiert. Viele sehen den eigentlichen Kampf aber nicht zwischen linken und rechten Positionen, sondern zwischen Menschen, die sich trotz des krassen Materialismus unserer Zeit auf ein ethisches Bewußtsein einlassen wollen, und solchen, die noch immer an starren Konzepten der Vergangenheit festhalten. Bedingt eine neue, ethische Zeit nicht auch eine neue Form der Partizipation?

Franz Alt: Unsere Spezies wird auf lange Sicht nur dann eine echte Chance auf mehr Menschlichkeit und wahres Glück haben, wenn sie sich auf diesen Strukturwandel hin zu einem ethischen Bewusstsein einläßt. Wir werden unsere geistige Natur, unseren Entwicklungsmöglichkeiten, unsere Talente nur verstehen können, wenn wir diesen Weg nach innen auch tatsächlich antreten!
Die großen Wegbereiter haben uns genau das stets vorgelebt! Ein erweitertes ethisches Bewußtsein ist essentiell. Hans Küng sprach hierbei vom „Weltethos“, dem alle Weltreligionen zustimmen können. Der Dalai Lama geht meiner Ansicht nach einen Schritt weiter, indem er sagt, daß man bei derlei „Reformen“ auch an die vielen Atheisten oder Agnostiker denken muß. Es gibt eine Milliarde Atheisten und wahrscheinlich noch mehr Agnostiker. Wir benötigen eine Ethik, der auch diese Gruppen zustimmen können, ein Werterahmen, der alle Menschen integriert.

Für viele bedeutet ja ein Gott, eine Wahrheit. Wer aber sagt, es gebe nur eine Wahrheit, beendet jeden Dialog, jedes Verständnis für andere Menschen, jegliche zwischenmenschliche Kommunikation. Die Digitalisierung ist hierbei eine große Chance, um uns besser kennenzulernen. Wenn jeder mit jedem kommunizieren kann, wissen wir einfach viel mehr voneinander, von unseren Ängsten und Hoffnungen … und je besser Menschen sich kennen, desto weniger Kriege machen sie auch!
Meinen Eltern und Großeltern konnte man noch sagen, daß sie Franzosen totschießen müssen, weil sie unsere Erbfeinde sind! Den Kindern unserer Zeit sind solche Sätze nur schwer verständlich. Sie können es gar nicht verstehen, daß ihre Urgroßeltern durch so einen Quatsch mobilisiert werden konnten. Die jungen Menschen können heute zum Glück durch die Welt reisen, Erfahrungen im Ausland machen, kennen Schüleraustausch, ERASMUS-Programme und Interrail und tauschen sich weltweit digital aus – die leben längst in einer vernetzten Welt. Da entwickelt sich doch längst schon ein neues Denken, eine neue Erfahrungswelt, die das Bewußtsein erweitert und ein ethisches Miteinander als Grundlage ihrer Kommunikation voraussetzt!

Ich habe vor einigen Wochen Michail Gorbatschow interviewt. Wir alle, so eine seiner beeindruckenden Aussagen, müssen verstehen lernen, dass wir eine Menschheit auf einem Planeten sind! Der ewige Nationalismus wird uns nicht weiterbringen.

 

Der Tod betrifft uns alle, dennoch klammern wir ihn in unserem Weltbild meist völlig aus. Wir leben auf einem Planeten mit endlichen Ressourcen, unsere Existenz und die des Planeten ist begrenzt. Dennoch kompensieren wir diese Tatsache mit der völlig paradoxen Heilslehre eines ewigen wirtschaftlichen Wachstums und eines Kapitalismus’, der das Individuum durch den simplen Akt des Kaufens lebloser Dinge weiser machen soll. Wieso lohnt der Blick auf den Tod und warum ist ein gutes Sterben so wichtig?

Franz Alt: Bekanntlich sterben von 100 Menschen im Schnitt 100 (lacht)! Also wahrscheinlich werden sogar wir beide irgendwann das Zeitliche segnen! Ich habe neulich einen wundervollen Satz gelesen: Eines Tages werden wir alle sterben. Das heißt aber auch, daß wir an vielen, vielen Tagen nicht sterben werden!
Es gibt, das sagen alle Religionsstifter, keinen Grund Angst zu haben vor dem Tod. Meist aber plagt uns diese Angst dennoch, weil wir im Grunde genommen Angst vor dem Leben haben! Was ist der Grund für diese paradox wirkende Lebensangst?
Wenn ich mir die aramäische Jesus-Botschaft ansehe, dann taucht dort achtmal das Wort Wiedergeburt auf. Der Klerus wollte die Wiedergeburt trotzdem nicht wahrhaben. Dieser Gedanke mußte heraus aus dem Buch. Die meinten ja alle, Jesus Nachhilfeunterricht geben zu müssen, indem sie seine einfachen Sätze umdeuteten.
Wenn in einem Weltbild jedoch der so wichtige Stützpfeiler Reinkarnation fehlt, dann muß bei der Frage nach dem Danach oder der Frage nach der Gerechtigkeit in den Menschenschicksalen Ratlosigkeit aufkommen. Sobald ich aber die Wiedergeburt voraussetze, kann ich mit dem einen von vielen Enden ganz anders umgehen – meine körperliche Existenz neigt sich dem Ende zu, mein Sein aber nicht! Ich komme wieder, um es besser zu machen und letztlich, um alles besser zu verstehen!

Ich habe das letzte große Fernsehinterview mit der Sterbeforscherin Elisabeth Kübler-Ross geführt, kurz vor ihrem Tod. Frau Kübler-Ross begleitete Tausende Menschen beim Sterben. Sie hat für ihre Forschung 22 Ehrendoktortitel erhalten – die Frau wußte, wovon sie redete! Ich weiß noch, wie ich sie damals fragte, wie ich dieses letzte Interview betiteln soll. Sie sagte, ich solle es „Der Tod ist ein wunderbares Erlebnis“ nennen! Was diese Frau über das Sterben gesagt hat, prägte mich nachhaltig.

Wir haben in Deutschland zudem ungefähr 4 Millionen Menschen mit Nahtoderfahrungen. Diese Personen haben zwar nur einen kurzen Blick auf die jenseitige Welt geworfen, dennoch kommen fast alle mit der Botschaft zurück: es gibt keinen Grund Angst zu haben vor dem Tod!

 

Sie haben ein „Interview-Büchlein“ mit Herrn Gorbatschow veröffentlicht, mit dem Titel „Kommt endlich zur Vernunft – Nie wieder Krieg!“. Was fasziniert Sie so sehr an dieser Person, und was glauben Sie, hat er uns heute noch zu sagen?

Franz Alt: Daß wir beide hier dieses Interview führen können, verdanken wir wahrscheinlich Michail Gorbatschow! Wir befanden uns während des Kalten Krieges einige Male vor einem nuklearen Konflikt. Gorbatschow war es, der einen potentiellen Atomkrieg in den 1980er Jahren verhinderte, indem er das atomare Wettrüsten als erster beendete.
Gorbatschow hat damals einfach verstanden, was Jesus von Nazareth mit Feindesliebe gemeint hat. Feindesliebe meint ja nicht, man solle sich alles bieten lassen. Jesus wollte wohl eher, daß man klüger als sein Feind sein soll! Klüger wie mein Feind sein kann ich aber nur, wenn ich versuche ihn zu verstehen. Nur so kann ich seine Reaktionen besser einschätzen.
Natürlich halten Realpolitiker so etwas für komplette Spinnerei. Nicht so aber Gorbatschow, ihm sagte diese Haltung zu. Wenn dein Feind so dumm ist und Atombomben baut, dann muß man das nicht unbedingt nachmachen. Er hat damit gezeigt, wie man derlei Bedrohungen überwinden kann.

Gorbatschow hat dann aber noch etwas sehr Kluges gemacht – er hat uns einfach unser Feindbild genommen! Nach dem Motto: Wir hören einfach auf mit dem Wahnsinn, und dann bleibt euch gar nichts anderes übrig, als auch aufzuhören! Das hat mich damals zutiefst beeindruckt. Er hat mit anderen Worten auf die Geistkraft vertraut und das materielle Denken mit der dazugehörigen Angst einfach überwunden!
Gorbatschow hat vorgemacht, wie Abrüstungspolitik auch heute noch funktionieren könnte, nämlich mit Mut zum ersten Schritt! Für mich ist er ein Vertreter des neuen, ethischen Denkens. Für mich ist er, ohne daß er sich auf Jesus beruft, ein praktizierender Jesuaner. Spirituell, das sagt er auch, ist er ein Agnostiker. Das ist aber alles nicht relevant, denn er tut das Richtige! Das ist viel wichtiger, als die ganzen frommen Sprüche!

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