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„Jeder Traum eröffnet den Zugang zu sich selbst!“ – Ein Gespräch mit der „Traumtherapeutin“ und Autorin Ortrud Grön

„Pflück dir den Traum vom Baum der Erkenntnis – Träume im Spiegel von Naturgesetzen“ So lautet der Titel eines Buches von Ortrud Grön:. Für sie sind Träume von einer höheren geistigen Kraft gestaltet, die der Mensch zwar empfangen, aber nicht selbst erzeugen kann. Das Aufregende dabei ist: die Dramaturgie in einem Traum folgt keinen eigenen, chaotischen Regeln, sondern spiegelt die Ordnung in der Natur wider! Die Bedeutung nehmen die Träume also auf, in dem Sie alle Details der Natur als Metapher nutzen, um uns Wege zu unserer Entwicklung zu öffnen!

Wozu dienen uns eigentlich Träume und was können sie in unserem Leben bewirken?
Ortrud Grön: Das Geheimnis des Traumes ist, daß er in einer verschlüsselten Sprache spricht. Wir als Träumende müssen uns bemühen, diese Verschlüsselung wieder aufzulösen, da sie ein Spiegelbild für unsere geistigen Prozesse sind. Diese Dechiffrierung ist zwar mit einigen Mühen verbunden, doch diese Arbeit ist notwendig, da ich die daraus resultierenden Erkenntnisse nicht einfach so serviert bekomme wie ein Fertiggericht. Ich muß mir die Botschaft des Traumes erarbeiten, mich in das Gesehene vertiefen, und dazu bedarf es zuerst einmal einer inneren Bereitschaft, seine seelischen Vorgänge ernsthaft zu betrachten. Der Traum begleitet den Menschen Schritt auf Schritt bei seinen Erfahrungen, zum Beispiel, wenn man die Richtung im Leben verfehlt hat. Aber er lobt und bestärkt auch, wenn ein Problem überwunden wurde und sich etwas gelöst hat.

Sie sprechen in Ihrem Buch von Gedanken, Gefühlen und Intuition. Welchen Stellenwert hat denn neben den Gedanken und Gefühlen das „Sinnortungsorgan“ Intuition? Qualitativ sind diese Begriffe ja sehr unterschiedlich.

Ortrud Grön: Ich denke, das Wort „Intuition“ bedeutet sehr viel mehr als Gefühl! Es ist noch etwas darin verborgen, das einen großen Unterschied zu den Gedanken und Gefühlen macht. Die rein intuitive Wahrnehmung kann man noch nicht begründen, man spürt sie jedoch deutlich und muß dringend darüber nachdenken. Der Mensch merkt: da ist etwas, das sich noch im Vorhof seines Bewußtseins befindet.

Der Traum fördert also Bilder an die Oberfläche, die unbedingt mit der eigenen Lebenssituation zu tun haben und sich in die Bilder und Gesetzmäßigkeiten der Natur hüllen. Man hat die Möglichkeit, intuitiv zu erspüren, worum es eigentlich geht. Mit der Intuition erschließt man sich Zugänge und Möglichkeiten zu neuen Bewußtwerdungsprozessen, die mit dem kognitiven Ansatz nicht möglich wären …
Ortrud Grön: Ja, vollkommen richtig. Es liegt daran, daß Traumbilder stets berühren und man sie deshalb verstehen möchte! Es ist so, wie wenn ein Lyriker ein Gedicht verfaßt, er schreibt ja auch nur in Bildern. Rilke zum Beispiel hat einen Bilderschatz, der stets aufs neue verblüfft. Auf diese Bilder muß man sich erst einmal einlassen, um ihre ganze Fülle zu spüren! Das Wahrnehmen dieser Bilderwelt geschieht im Gleichnisdenken.

Sie schreiben in Ihrem Buch, daß alles, was wir im Traum sehen und erleben, gleichnishaft unsere seelische Situation spiegelt. Alle Bildinhalte sind Hinweise zu unserem akuten Verhalten. Wenn ich also von einem Hund träume, dann träume ich von dem Archetyp eines Hundes und muß mir Gedanken über die Eigenschaften des Hundes machen?
Ortrud Grön: Ja, im ersten Schritt muß man sich über die Eigenschaften des Hundes schlechthin Gedanken machen. Der Hund ist ja der treue Begleiter des Menschen. Die Liebe und Treue, die er seinem Herrn zukommen läßt, die sollte ich mir selbst auch schenken. Dann kommt es aber noch darauf an, ob ich beispielsweise einen Dackel oder einen Bernhardiner gesehen habe. In diesem Fall zeigen sich also noch völlig unterschiedliche Charaktere, Lebensfreuden und Vorlieben in der Betätigung, da die einzelnen Hunderassen unterschiedliche Temperamente und Besonderheiten besitzen. Außerdem kommt hinzu, ob ich diesen Hund kenne, ob es mein eigener Hund ist oder war. Nehmen wir an, er war in einer früheren Zeit mein Hund, dann muß ich mich an die Begebenheiten dieser Zeit erinnern, da das Signal aus der Vergangenheit herrührt. Die Frage lautet: Wie habe ich damals gelebt? Hier will mir der Traum helfen, die damalige Zeit in die Erinnerung zu rufen.

Und wenn es der Hund eines Freundes ist?
Ortrud Grön: Dann habe ich die Aufgabe, mir auch die charakteristische Eigenschaft des Freundes klarzumachen. Schließlich werde ich auf eine Eigenschaft aufmerksam gemacht, die ich im Augenblick benötige oder die zu kurz gekommen ist, brach liegt. Der Hund mahnt mich dann, diese Eigenschaft zu beachten.

Wieso ist das so? Weshalb bin ich mit dem Hund aus meinem Traum verbunden und kann dadurch Analogien und Gleichnisse für das eigene Leben finden?
Ortrud Grön: Ich denke, weil die ganze Welt spirituell durchdrungen ist, stehen alle Lebewesen der Natur miteinander in Verbindung! Die Traumsprache ist eine spirituelle Sprache. Ich könnte zum Beispiel meine Probleme niemals in solch einer eindeutigen und allumfassenden Art wiedergeben, wie es die kurze Zeit des Traumes vermag. Jeder Traum öffnet dem Menschen den Zugang zu sich selbst, und zwar in einer ganz logischen Aneinanderreihung von Bildern. Ein Lyriker kann so etwas, wie schon erwähnt, wenn er voll Inbrunst in Ichvergessenheit ein Gedicht über ein Thema schreibt. Wir müssen uns klar machen, daß wir nicht getrennt sind von der Schöpfung, sondern ein Teil von ihr, und daß diese spirituelle Kraft ständig in uns wirksam ist, uns ständig begleitet, durch Schmerzen und durch Freude. Dabei ist der Schmerz, so verrückt sich das anhört, auch Liebe, da er das letzte Mittel ist, einen Menschen auf die richtige Fährte zu bringen! Durch alles, was wir erleben, nehmen wir an dem Werdeprozeß in uns selbst teil, an einem Prozeß, der immer das Leben sucht! Man muß gerade heutzutage ganz schön schuften, bis man endlich einmal begriffen hat, was Leben wirklich ist! Durch den Traum kann es gelingen, mehr Leichtigkeit und die Freude am Leben zu gewinnen, so daß man sich nicht mehr selbst blockiert!

Sie gehen von der Ordnung in der Natur, von Naturgesetzen und Sinn aus. Das assoziiert eine gesetzgebende Kraft, einen Schöpfer.
Ortrud Grön: Für mich ist die Natur mit ihren Gesetzmäßigkeiten, die sich in den Träumen als Weg meiner Seele so klar widerspiegelt, der Ausdruck, den der Schöpfer uns gegeben hat, damit wir begreifen, wie wir leben lernen können. Im Umgang mit der Natur lernen wir ja unendlich viel. Alles, was je an wissenschaftlichen Errungenschaften erworben worden ist, kommt ja aus der Natur! Wir müssen also die Natur verstehen, um für uns selbst das Leben zu gestalten. Wenn der Traum dies aufgreift und mir dann meine eigenen Irrwege oder aber auch richtigen Wege spiegelt, dann ist es für mich selbstverständlich, daß der Schöpfer diesen Plan von vornherein hatte, um uns Menschen den Weg zu ebnen, selbst schöpferisch zu werden. Während Tiere instinktive Wesen sind, können die Menschen als einzige Kreaturen auf diesem Planeten geistige Kräfte entfalten. Ich glaube, die Idee der Natur ist es, dem Menschen dafür im Traum Hilfen zu geben.

Wenn wir von Sinnbildern im Traum sprechen, so muß man doch auch berücksichtigen, daß jedes dieser Sinnbilder höchst ambivalent ist. Wie klären Sie die Frage welchem geistigen Bewußtwerdungsprozeß eine „Traumerscheinung“ im Menschen in Wirklichkeit dienen soll?
Ortrud Grön: Man muß ein Sinnbild im Vorfeld nur stark genug verdichten um das Wesentliche zu sehen. Dann wird es auch klar in seiner Aussage. Das Wesentliche eines Hauses z.B. wäre, daß man darin wohnen kann. So zeigt ein Haus im Traum, wie ich zur Zeit in mir wohne. Das Wesentliche eines Autos ist, daß man sich selbst steuert, um sein Ziel zu erreichen. Und so erfahre ich, wie ich mich gerade steuere. Das Wesentliche von Bienen ist, daß sie ihren Bienenstock in wunderbarer Weise organisieren und dazu den Nektar aus den Blüten sammeln. Bienen zeigen im Traum, ob ich mein Inneres auch so organisieren kann und mich dadurch ernähre, daß ich aus den Wünschen, die in mir aufblühen, die Süße des Nektars suche. So befruchte ich meine Wünsche und lasse sie zu Früchten reifen. Wenn ich hierzu noch betrachte, daß Bienenwaben sechseckig sind, so bieten sich mir weitere köstliche Hilfen in der Zahlensymbolik des Traumes an!

Und was will die sechseckige Bienenwabe mir verdeutlichen?
Ortrud Grön: Eine ganze Menge! Die Zahl 1 im Traum ist die grundlegende Erfahrung: Mir geht es nicht gut. Ich will etwas ändern. In der 2 erkenne ich die Ambivalenz, die mich blockiert, also die gegensätzlichen Gefühle in mir und ich entscheide, was mir gut tut und was nicht. Daraus entwickelt sich ein Wunsch, dem ich nachgehen will, um mein Leben schöner zu gestalten. Der Wunsch blüht auf – die 3. Mit der Zahl 4 mache ich mir dann Gedanken, wie ich diesen Wunsch am Besten gestalten, ihn in die Tat umsetzen kann. Mit der 5 begebe ich mich mit allen fünf Sinnen in meinen Wunsch. Es entsteht eine Lust, den Wunsch sinnlich zu erfahren, ihn zu verwirklichen. Bei der 6, um nun zu Ihrer Frage zurückzukommen, kann der Druck von außen noch so groß sein, ich stehe zu „meiner Wahrheit“, ich laß mir diese nicht mehr abkaufen. Letztlich muß ich immer an diesen Punkt kommen, an dem ich zu meiner Wahrheit stehen kann. Ob ich bei mir selbst angekommen bin, erfahre ich über das Gefühl in der Frage: Bin ich zufrieden mit mir oder nicht? Wenn ich ein negatives Lebensgefühl habe, dann muß ich weitersuchen. Das Schöne hierbei ist jedoch: man findet sich eigentlich nur durch die Suche nach Zufriedenheit! Erst wenn ich Harmonie in mir fühle, stehe ich mit mir selbst in Verbindung. Doch ist diese Harmonie natürlich nichts Statisches! Die Umstände im Leben wechseln ständig, und deswegen muß ich auch immer wieder neu suchen, mich neu ausrichten und dabei kreativ und schöpferisch werden – so reift ein Mensch.

Wie kamen Sie denn auf diese Zahlensymbolik?
Ortrud Grön: Die eigentliche Anregung zur Zahlensymbolik wurde mir durch die Beschäftigung mit den alten Ägyptern zuteil. Dort wird in der sogenannten „kleinen Neunheit“ und in der „großen Neunheit“, mythologisch der Selbsterlösungsweg eines Menschen dargestellt. Auch die Märchen bieten eine reichhaltige Fundgrube zur Erforschung der Zahlensymbolik, besonders die Drei und die Sieben sind dort oft vertreten. Dennoch ist das eigene Erleben grundlegend. Bei den Zahlen ist es ein innerer Dialog gewesen, der mich den Sinn lehrte! Ich entdeckte bei den Träumen einen gleichbleibenden Rhythmus. Je mehr ich mich damit beschäftigte, desto klarer wurde mir, daß jeder Traum in diesem Rhythmus aufgebaut ist.

Goethe sagte treffend: „Man sieht nur was man kennt“. Muß man also nicht davon ausgehen, daß die Auslegung eines Traum-Sinnbildes mit dem Bildungsgrad oder auch der sozialen Prägung eines Menschen zu tun hat? Ein Ureinwohner in Papua-Neuguinea wird in einem Schwein etwas anderes sehen als ein gläubiger Muslim in der Türkei. Ist Ihre „Traumarbeit“ für jeden Menschen gleichermaßen sinnvoll?
Ortrud Grön: Grundsätzlich ja, da ja auch jeder träumt. Aber er muß die Energie aufbringen und sich mit seinen Träumen konsequent auseinandersetzen, wenn er über den Wurzelgrund seines Sinnbildes etwas erfahren möchte. Wenn er diese Energie nicht entwickelt, dann gehen ihm die Träume verloren und damit auch ein Werkzeug zur Selbst- und Welterkenntnis. Patienten fragten mich öfters: „Was soll ich denn eigentlich hier in der Therapie? Ich träume doch eh nie“. Ich erwidere dann stets: „Warten Sie es mal ab. In zwei Tagen kommen Sie mit einem Traum!“ Sie alle kamen mit einem Traum! In dem Augenblick, wo das Interesse an einem Traum stark genug ist, stellt sich der Fokus der Erinnerung wieder ein. Wissen Sie, es geht eigentlich immer darum, das Wesentliche gleichnishaft ausdrücken zu können – und dafür muß man eben tief genug und vor allem sachlich forschen.

Gibt es Ihrer Ansicht nach unwichtige Träume, sinnlose Fragmente im Traum? Und wie verläßlich sind Traumbilder?
Ortrud Grön: Meiner Ansicht nach ist jeder Bestandteil im Traum von Bedeutung! Zudem habe ich nicht einen einzigen Satz in einem meiner Träume als unzuverlässig erlebt, selbst wenn es nur ein „Traumfetzen“ war. Addiert man nämlich zwei, drei dieser Fetzen zusammen, so ergibt das schon wieder eine wertvolle Aussage! Es gibt nichts Sinnloses im Traum, nicht ein einziges Wort ist überflüssig! Alles, was man behält, hat eine Substanz!

Arbeiten Sie auch mit Kindern?
Ortrud Grön: Leider nicht! Ich würde sehr gerne mit Kindern arbeiten, es hat sich jedoch nicht ergeben. Dafür habe ich Erwachsene, die in ihren Träumen von Kindheitsproblemen heimgesucht werden. Damit kann man gut arbeiten, da hier die ganze Problematik des Menschen angedeutet ist.

Die Phase der Kindheit ist also entscheidend?
Ortrud Grön: Sehr entscheidend! Die Kindheit ist das Fundament, hier entstehen die Ängste, die wir als Erwachsene aufarbeiten müssen. Die Kindheit bringt letztlich die eigene Aufgabe zum Leben, also das, was man überwinden muß, damit man etwas Neues entwickeln kann. Träumt ein Mensch zum Beispiel vom Tod, so könnte es bedeuten, daß er alte Schutzhaltungen – in der Psychologie spricht man von „Abwehrmechanismen“ –, die er einst als Kind gepflegt hat, gerade „beerdigt“. Dann kann die eigentliche Kraft auferstehen, die dadurch verdrängt wurde. Im Grunde muß ich oft in die Kindheit gehen und nachfühlen, wie ich mich damals gefühlt habe, warum und welche Kraft ich verdrängt habe. Dieser lange und teilweise sehr schwierige Erinnerungsprozeß mündet schließlich in Fragen wie: Wovor hatte ich eigentlich Angst? Wie habe ich mich geschützt? Das Bild des Todes rührt dann an der Kraft, die unter diesen Schichten begraben liegt. Diese Kraft muß auferstehen, doch hierzu muß ich die einstige Schutzhaltung sterben lassen.

Haben Sie schon einmal daran gedacht, daß eines Menschen Schicksal und Symbolik sich auch aus den Bestandteilen mehrerer Leben zusammensetzen kann, daß es also die Reinkarnation gibt, zum Zweck eines rechten Verständnisses der Naturgesetze?
Ortrud Grön: Ich habe in einigen Träumen erlebt, wie ich auf vergangene Zeiten zurückgriff. Diese Träume, das war mir schnell klar, hatten nichts mit meiner Gegenwart zu tun, sondern mit der Vergangenheit. Etwas bahnte sich hier seinen Weg aus dem Vorleben. In einem Traum bin ich zum Beispiel durch einen unendlich großen Lichttrichter gefallen, während sich um mich herum ein Jahrhundert nach dem anderen gedreht hat, wie bunte, im Kreis laufende Bänder. Das war ein sensationelles Bild und eine atemberaubende Bewegung. Schließlich bin ich dann unten, in Ägypten aufgekommen! Da ich mich ja schon immer leidenschaftlich für Ägypten interessierte, spürte ich auch, daß dieses Gebiet zu mir und meinem Dasein gehört. Ich bin davon überzeugt, daß ich dort, in dieser fernen Kultur, irgend etwas erlebt haben muß, sonst hätte ich mich heutzutage als Laie und Autodidakt ja auch gar nicht so tief in die Mythologie der alten Ägypter hineingedacht. Nach meiner Erfahrung gibt es im Menschen eine lange, lange Zeit der Entwicklung, die sich über viele Leben erstreckt! Das Leben ist kostbar, großartig, voller Geheimnisse, und bis wir dies alles so durchdrungen haben, daß wir letztlich auch daran teilhaben können, braucht es einen großen Erfahrungsschatz.

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