lebenswertes

„Alles was mit Ausbeutung zu tun hat und ohne ethische Grundsätze verkauft wird, kann nicht gut sein.“ – Hanspeter Hagen

Hier in Ihrem Büro, das ja mittlerweile halb Heilbronn kennt, sehe ich eine Marx-Büste und eine Buddha-Statue. Wie passen denn gerade diese beiden unterschiedlichen Persönlichkeiten zusammen und was fasziniert Sie an den beiden Figuren?
Hanspeter Hagen:Um das Ensemble abzurunden finden Sie dort auf der linken Seite noch eine Büste, die für den Humanismus steht. Andere gehen in die Kirche um sich auszurichten, ich habe meine philosophischen und politischen Symbole hier vor Ort! Ich möchte frei sein von irgendwelchen Institutionen und deshalb versinnbildlichen diese Büsten für mich Tugenden, an die ich erinnert werden möchte. Ob das nun Werte sind wie Toleranz, Bildung, Menschenrechte oder ob es meine Einstellung zu politischen Fragen ist; hier finde ich meinen roten Faden.

Als Sie 1994 in die Christophstraße gezogen sind, hatte dieses Viertel den Spitznamen „Heilbronx“, weil es das Problemviertel der Stadt war. Trotz sozialer Spannungen und der offensichtlichen Drogenproblematik errichteten Sie dennoch Ihr Kaffeehaus hier in dieser Ecke. Was hat Sie damals dazu bewogen?
Hanspeter Hagen:Diese Stadtteil war ja schon immer eine Art Multikultigebiet, ein Schmelztiegel mit Einwohnern unterschiedlichster Herkunft, Religion und Mentalität. Wie in vielen anderen Städten haben solche Gebiete aber leider das Problem, daß ihnen die gemeinschaftliche Basis fehlt und zwar weil sich keiner der dort lebenden Einwohner richtig mit der Gegend und seinen Menschen identifizieren kann oder will. Die Gefahr der Gettoisierung, sprich das Abkoppeln vom Rest des städtischen Lebens ist also riesengroß und genau das hat hier im sog. „Hawaii“ – um noch einen Namen dieses Viertels zu bemühen – auch stattgefunden. Diese Trennung wird zudem noch durch die Bahnlinie untermauert, die den Stadtteil wie bei einem chirurgischen Schnitt abtrennt, obwohl er doch eigentlich gar nicht so weit weg vom Stadtkern ist.

Der Grund warum wir unseren Firmensitz hierhergelegt haben, war vielschichtig. Zum einen gab es Pläne der Stadt dieses geschichtsträchtige Haus, das ja mittlerweile über 100 Jahre alt ist, einfach abzureißen und das wollte ich unbedingt verhindern! Ich empfand es als Wahnsinn eines der wenigen Kulturdenkmäler, welches die Bomben des Krieges überlebt hatte und der Stadt noch ein Gesicht verlieh auch noch abzureißen! Für mich wäre so die kulturelle Erosion dieses Stadtteils einfach viel zu gravierend gewesen. Wenn alle aus der „Bronx“ herausgehen, dachte ich mir damals, dann werden die Umstände noch schlimmer, so ungefähr, wie man das in den USA heute sehen kann. Man muß sich gegen solch Tendenzen stellen und hier ein Gegengewicht schaffen. Da ich schon immer ein alter Sanierer war und mir den Umbau des Gebäudes gut vorstellen konnte, lag nichts näher als das Kaffeehaus, die Rösterei, den Einzel- und Großhandel und die Produktion vereint in dieses Gebäude zu verlegen. Es war am Ende eine absolut bereichernde Erfahrung zu lernen, daß die Menschen es instinktiv bemerken wenn etwas besser wird! Wenn ihre Motivation ehrlich ist, dann sind ihnen die Menschen letztlich auch wohlgesonnen!

Die Idee, die Welt der Kultur, des Genuß, des Miteinanders und Wohlergehens als Prototyp in eine sozial schwache Gegend zu etablieren ist mutig. Genügte es da einfach präsent zu sein und ein alternatives Gegenmodel vor der eigenen Haustür anzubieten oder gab es auch konkrete Projekte in der Nachbarschaft?
Hanspeter Hagen:Zunächst einmal müssen Sie sich vorstellen, daß wir hier ganz alleine waren! Es dauerte ja über fünf Jahre, bis die ersten Menschen zaghaft dieses Gebiet erkundeten und sich auch vorstellen konnten hierher zu ziehen. Am Anfang war es einfach so, daß dieses alte Industriegebiet belebt werden mußte und das dauerte ziemlich lange. Es gab also keine konkreten Projekte, die Impulse kamen zu Beginn ausschließlich durch die ehrliche Leidenschaft zu unserer Sache, dem Kaffee. Wenn man so will hat die Grundlage unseres Geschäftes immer auch etwas Verbindendes, da Kaffee in so vielen Kulturen vertreten ist und mit Genuß, Besinnung und einer Auszeit assoziiert wird. Einen besseren Pionier zur Belebung eines ganzen Viertels kann man sich kaum vorstellen! Aus zaghaften Berührungen wurden mit der Zeit stabile Verbindungen und das Ende ist, wie Sie sehen, eine Wohngegend, die zwar nicht frei von Problemen ist aber dennoch lebt! Wichtig ist allerdings, daß man gerade im Sozialbereich den Mut aufbringt etwas auf die Beine zu stellen und sich gegen negative Strömungen auflehnt. Wir haben mittlerweile Nachbarn, die zu unseren Theatervorstellungen kommen oder einfach nur bei uns einkaufen. Das Schöne hierbei ist, daß diese Besucher nicht unbedingt zur sozialen Oberschicht gehören, dafür haben sie aber in den Jahren ein Qualitätsbewußtsein entwickelt, durch das sie ein gutes Produkt einfach zu schätzen wissen!

Sie haben einige Moscheen in Ihrer Nachbarschaft. Der Migrantenanteil in diesem Stadtteil ist nach wie vor sehr hoch. Gibt es Berührungspunkte, einen konkreten Austausch oder lebt jeder in seiner eigenen Welt?
Hanspeter Hagen:Wir hatten letztes Jahr einige sehr interessante Veranstaltungen des „Turkish Round Table Club“ hier im Haus, bei denen türkische Künstler ihre Werke in beiden Sprachen vorstellten. Ansonsten werde ich natürlich auch von muslimischen Nachbarn besucht, es gibt aber keine gemeinsamen Projekte. Grundsätzlich denke ich, daß man als „Kulturträger“ eines Landes in der heutigen Zeit auch unbedingt offen sein sollte für die Kultur unserer Nachbarn. Auf der anderen Seite ist es aber auch wichtig unsere eigene Identität zu pflegen, schon alleine um somit ein gesundes Gegengewicht zu bilden. Erst dieser Gegendruck gibt unseren ausländischen Mitbürgern und Freunden die Möglichkeit sich auch von dieser lebendigen Kultur inspirieren zu lassen! Das gesunde, aufbauende Miteinander macht es eben aus und dabei ist die gegenseitige Toleranz und der Respekt das Gebot der Stunde. Wir haben hierbei immer den Vorteil, daß der Geschmack und Genuß von Kaffee und Tee etwas absolut Internationales ist. Ich halte es so gesehen für einen wichtigen Eckpfeiler unseres Konzeptes, daß wir mit unserem Literatur- und Theaterangebot im Kaffeehaus Hagen auch stets einen Ort des kulturellen Austauschs und Kommunikation bieten.

Wenn Sie sich heute nach 20 Jahren die Welt rund um das Hagen-Kaffee, Ihre Welt betrachten, welcher Teil Ihrer Vision war eine Illusion und was hat sich zum Positiven hin entwickelt?
Hanspeter Hagen:Unterm Strich muß ich sagen, daß meine damalige Vision tatsächlich Realität geworden ist! Wenn ich mich so umsehe, dann ist hier im Großen und Ganzen alles genau so, wie ich es mir vorgestellt habe! Darüber bin ich wirklich glücklich. Ich fühle mich bei meiner Arbeit eher wie ein Künstler, der an einem Gesamtwerk arbeitet.

Wie geht so ein „Künstlertyp“ aber mit wirtschaftlichem Druck um?
Hanspeter Hagen:Draußen an der Tür steht ein Spruch, der gut zu Ihrer Frage paßt! „Nicht die Großen fressen die Kleinen, sondern die Schnellen die Langsamen!“ Ich habe dementsprechend immer versucht schnell auf die Marktlage zu reagieren. Man muß dafür stets den Markt beobachten, Trends erkennen und Nischen erobern. Wenn diese Nische wieder zum Mainstream wird, dann muß man schon vorher reagieren und neue Gebiete erschließen. Ich halte es über dies hinaus für ganz wichtig, daß man im Leben eine Leitlinie, einen roten Faden hat! Man kann nicht ständig seine Einstellung zu den Dingen ändern, wenn man mit Menschen zusammenarbeiten möchte. Wenn Sie permanent auf dem Sprung sind und verunsichert wirken, dann verunsichern sie auch ihre Umgebung. Eine klare Linie ist als Geschäftsmann unerläßlich. Im Telegrammstil lautet mein Grundsatz: Qualitätsbewußtsein, kein Billigramsch, eine soziale Einstellung gegenüber anderen Menschen, ethisches Handeln und moralisches Auftreten, kurz: ich möchte mich meinen Mitmenschen gegenüber anständig verhalten!

Essen versteht sich heute zu oft als Befüllung des Körpers. Bewußt wird nur der Moment im Mund wahrgenommen, alles andere ist ein dunkles Areal. Außerdem stehen die Kosten der Nahrung noch vor Geschmack und ethischen Überlegungen. Das Essen wird einfach nicht mehr als essentieller Teil des Lebens begriffen, für den wir eine große Verantwortung tragen. Wie schafft man es dem Verbraucher Achtsamkeit auf das eigene Konsumverhalten, auf Nachhaltigkeit, Regionalität, Saisonalität usw. näher zu bringen?
Hanspeter Hagen:Wie immer kann’s nur über die Bildung funktionieren, sprich über das Bewußtsein! Der Handel muß dem Kunden zunächst Nahrung anbieten, die all den von Ihnen genannten Kriterien entspricht. Wenn der Verbraucher schließlich den Unterschied beim Essen erkennt, muß man ihm auch die Informationen geben können, die den Unterschied zum günstigen Essen aufzeigen. Die Veränderung liegt in der Erkenntnis des Konsumenten, daß er für den Mehrbetrag auch ein Mehr an Vitalität und Gesundheit bekommt und beim Genuß kein schlechtes Gewissen mehr haben muß! Kaffee, um bei unserem Metier zu bleiben, ist nicht nur heiß und schwarz, sondern es gibt geschmacklich noch unheimlich viele Nuancen. In unserem Haus bieten wir beispielsweise bis zu 60 verschiedene Sorten und Mischungen an, die der Kunde selbst testen und erleben kann. Zudem muß der Kunde immer nachverfolgen können woher man seine Waren bezieht. Im Hagen-Kaffee ist es ausdrücklich erwünscht, daß der Besucher sich ein Bild von unserem Verhältnis zum Produzenten macht und hinter die Kulissen schaut. Aus eigener Überzeugung war uns der zertifizierte „faire Handel“ mit den Kaffeebauern schon immer eine verpflichtende Grundvoraussetzung! Wir zeigen mit dieser transparenten Einstellung, wie wir uns Nachhaltigkeit und Fairneß vorstellen. Auf der anderen Seite honorieren wir so auch den Produzenten und signalisieren ihm, daß wir für ein gutes Produkt und saubere Produktionsstandards selbstverständlich auch einen höheren Preis bezahlen. Im Grunde ist allerdings der Preis bei den Gesprächen aber gar nicht das Thema, sondern immer nur die Qualität! Für unsere Kaffeebauern soll sich die erbrachte Leistung rentieren. Oft genug werden die Produzenten in den Entwicklungsländern einfach nur von irgendwelchen Typen, die sich im Zwischenhandel tummeln, abgezockt. So etwas darf es nicht mehr geben!

Man gibt also dadurch, daß man dem Bauern respektiert und als gleichberechtigten Partner akzeptiert, der Ware ihren Stellenwert zurück.
Hanspeter Hagen:So ist es! Man honoriert die Arbeit des Produzenten und weiß es zu schätzen, was er leistet, nicht zuletzt durch eine anständige Entlohnung. Der gegenseitige Respekt ist tatsächlich das A und O dieses Geschäftes. Der Verbraucher kann diesen Respekt auch erbringen, in dem er sich nicht immer vom Preis leiten läßt, sondern sich erkundigt …

Was entgegnen Sie Menschen die der Meinung sind Slowfood sei etwas für eine wohlhabende, elitäre Schicht, die zu viel Zeit haben? Warum sind Sie Slowfood-Förderer?
Hanspeter Hagen:Ich bin Förderer dieser Bewegung, weil ich ihre Grundsätze für absolut richtig halte! Slowfood setzt sich für die Qualität eines Produktes ein, außerdem vermitteln die Förderer was gute Nahrung ausmacht. Im Grunde finden wir hier die Bewußtseinsarbeit, von der wir gerade vorhin gesprochen haben. Man muß einfach klar darstellen, daß ein Big Mac plus brauner Cola-Pampe die Geschmacksnerven betäuben. Diese Nahrung ist so angehäuft mit Geschmacksverstärkern und Zucker, daß man sich damit wirklich keinen Gefallen macht! Außerdem ist die in der Slowfood-Philosophie integrierte Regionalität, ein für mich ganz wichtiges Grundelement der Ernährung. Wir beziehen unsere Lebensmittel von Bauern, Winzern, Saftherstellern vor Ort und unterstützen somit auch die Region in der wir so gerne leben. Fleisch vom Bühler in Schwäbisch Hall, Käse aus Geifertshofen und die Säfte der Streubostwiesen aus dem Bottwartal, die übrigens gerade unter 85 Säften den ersten Platz gemacht haben – das sind die Produkte, hinter denen wir stehen!

Haiti ist nicht zuletzt durch die Lasten der Kolonialisierung zum Armenhaus der Welt geworden. Die einstige Schatzkammer der Karibik mußte den Franzosen erhebliche Zahlungen für die eigene Souveränität entrichten. Tragen die Ex-Kolonialisten in Europa, denn auch heute noch eine Verantwortung für die Misere in den Entwicklungsländern?
Hanspeter Hagen:Aber sicher! Es wird ja auch heute noch geholt, was man holen kann! Wenn es in den Ländern zudem noch eine korrupte Clique gibt, die sich die wenigen Devisen in die Tasche schieben dann verschärft sich das Problem noch. Letztlich geht es hier um das Thema soziale Gerechtigkeit – die war damals nicht gegeben, wurde mit roher Gewalt niedergedrückt und die ist heute nicht gegeben, da wir unseren Vorteil von damals ins 21 Jahrhundert hinübergerettet haben und dabei gnadenlos ausnutzen. Wir verhalten uns unfair und ungerecht, auch heute noch!

Wenn die Menschen in diesen Ländern am Ende aber schließlich auf eigenen Beinen stehen, also eigene Strukturen aufgebaut haben und endlich keine Hilfeempfänger mehr sind, so ist doch die Frage, ob man es in einem neuen Verhältnis verhindern kann, daß man dort denselben fatalen Irrweg durchläuft wie wir es vorgelebt haben. Die Sorge dabei ist nämlich, daß die Erde den erneuten Raubbau nach dem Modell der Industrialisierung nicht verkraften wird.
Hanspeter Hagen:Vermutlich können wir dagegen gar nichts tun! Zuerst kommt wahrscheinlich erst das Fressen und dann die Moral … leider! Wir können keine Wirtschaftsform, kein politisches System nach Gusto installieren, das hätte dann ja schon wieder einen kolonialistischen Beigeschmack. Diese Länder werden sich befreien und sie werden – wenn sie unser altes „Erfolgsmodell“ kopieren – ihre Fehler machen! Im Übrigen sind wir auch ganz schlechte Vorbilder oder warum intervenieren wir einerseits so massiv für ein demokratisches Afghanistan und unterlassen die Anstrengungen im feudalistischen Saudi Arabien? Diese ständige Doppelmoral folgt ja immer eigenen Interessen. Wem wollen wir so einen Ratschlag geben? Wir können in den Ländern immer nur auf die Vernunft einzelner Menschen hoffen.

Was macht gerade Kaffee so reizvoll. Ist es die Feierabend-, Ausklangsstimmung die damit erzeugt wird? Ist es die Erweckung des Gefühls von Heimat in der Fremde. Worin liegt Ihrer Ansicht nach der Zauber des Kaffees?
Hagen: Beim Kaffee liegt meiner Ansicht nach die Magie in der Zeremonie. Die meisten trinken wohl lieber einen Kaffee im Beisein einer Person, als alleine. Außerdem sehnt sich der Mensch wohl auch nach Ritualen. Wenn die Zeit dann noch in einer angenehmen Atmosphäre verbracht wird, dann erleben wir einen Moment der Einkehr, des Wohlseins in uns.

Unterscheiden sich denn Kaffeeliebhaber von Teegenießern? Wie sehen die jeweiligen „Psychogramme“ aus?
Hanspeter Hagen:Aber natürlich gibt es da Unterschiede! Der Teetrinker ist meist ruhig und gelassen, wohingegen der Kaffeetrinker eher der „aufgedrehte“ Typ ist. Das kommt natürlich auch vom Produkt an sich, denn Kaffee ist schnell hergestellt und auch schnell getrunken. Tee benötigt in allem viel mehr Zeit. Der Vergleich hinkt zwar, ich bilde mir aber ein, daß die Länder mit einer Teetradition gemächlicher sind, wie die „hippeligen“ Länder in denen seit jeher Kaffee getrunken wird.

Wo sehen Sie sich in 20 Jahren. Gibt es eine Vision?
Hanspeter Hagen:Ich will mich auch in Zukunft beständig für den Begriff der Qualität einsetzen. Ich möchte mich für einen Bewußtseinswandel bei den Verbrauchern einsetzen und nicht müde werden dafür zu appellieren, daß man sich beim Kauf von Lebensmitteln auch die Folgen für sich selbst und seine Umwelt klarmacht. Wenn man billig einkauft, muß man billig produzieren und diese Analogie geht immer zu Lasten der Produzenten und der Natur. Wer mehr investiert gewährleistet auch, daß mehr Menschen teilhaben können. Alles was mit Ausbeutung zu tun hat und ohne ethische Grundsätze verkauft wird, kann nicht gut sein!

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