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Die dunklen Seiten unseres Währungssystems. Hintergründe für die Finanz- und Bankenkrise. – Prof. Bernd Senf

 

Wenn es um Kritik an unserem Währungssystem geht, werden oft „einfache“ Lösungen vorgestellt. Beispielsweise ein generelles Zinsverbot. Bernd Senf, emeritierter Professor für Volkswirtschaftslehre und Autor zahlreicher Bücher zur Finanzthematik, sieht die Sache differenzierter. Im GralsWelt-Gespräch beleuchtet er Hintergründe für drohende oder bereits sichtbar gewordene Krisen und zieht Parallelen von den Entwicklungen im Finanzbereich zu Entwicklungen in der Natur.

Ich möchte mit Ihnen zunächst auf die Finanz- und Bankenkrise der jüngsten Zeit zurückblicken: Was dabei verwundert, ist doch die Unverhältnismäßigkeit der eingesetzten Geldmittel. Wenn es um den Sozialbereich ging, reichte das politische Vokabular maximal bis zu zweistelligen Millionenbeträgen. Für die Bankenrettungen waren plötzlich utopische Summen vorhanden. Da stellt sich der Laie die Frage: Woher kamen diese Beträge? Wer sind die wahren Geldschöpfer?

BERND SENF: Ich denke, wir wären erheblich weiter, wenn wir uns öfter fragen würden, woher das Geld eigentlich kommt. Man hat größtenteils nur die grobe Ahnung, daß wohl die Zentralbanken eine wesentliche Rolle dabei spielen, also die EZB für den Euro und „Fed“ für den Dollar usw. Die Zentralbank läßt Papier bedrucken und bringt es dann „irgendwie“ in den Wirtschaftskreislauf, doch wie das geschieht, ist meist unklar. Man muß zunächst wissen, daß unser Geld immer als Kredit in Umlauf kommt! Das bedeutet andererseits, daß auf diese Weise auch Schuld und Verschuldung ins System gelangen. Im ersten Schritt verschulden sich also zunächst die Geschäftsbanken bei den Zentralbanken. Die Geschäftsbanken können dieses Geld als Kredit weiterverleihen und erheben dafür noch einmal Zinsen. An dieser Stelle ist das Geld bereits als Schuldgeld in das System eingegangen – Schulden, die durch Zinsen, Tilgung und Sicherheit bedient werden müssen. Von nun an hat der Gläubiger ein Zugriffsrecht auf die dinglichen Sicherheiten des Schuldners, also zum Beispiel seine Immobilien. Das Geld, das wir jeden Tag so selbstverständlich verwenden, ist so gesehen von Anbeginn an Schuldgeld. Wenn die Geldmenge wächst, heißt das im Umkehrschluß auch, daß das Volumen der Schulden wächst.

Brisant wird die Geldschöpfung, wenn man sich vor Augen führt, daß Geschäftsbanken zusätzlich zum Zentralbankgeld noch sogenanntes Giralgeld schöpfen können. Giralgeld sind Sichtguthaben, die man über sein Girokonto abheben oder überweisen kann. Giralgeld gilt jedoch – auch wenn das praktisch keine Rolle spielt – nicht als gesetzliches Zahlungsmittel, es handelt sich dabei streng genommen nur um ein Versprechen, jederzeit über die angezeigten Summen verfügen zu können! Da aber nur ein Bruchteil der Sichtguthaben in Bargeld verwendet wird, ist es der Bank möglich, ein Vielfaches an Giralgeld aus dem „Nichts“ zu schöpfen und damit noch Geschäfte zu machen. „Nichts“ in Anführungszeichen, weil ein kleiner Sockelbetrag an Bargeld vorhanden sein muß. In den 1930er-Jahren schuf die Bank für einen Anteil reellen Eigenkapitals 10 Anteile Giralgeld, heute liegt dieses Verhältnis schon bei ungefähr 1:20! Die Krux bei der Geschichte: Das von Geschäftsbanken geschöpfte Geld existiert nur virtuell, es kann jedoch mit allen Merkmalen eines Kredites weiterverliehen werden, sprich, mit Zinsen, Tilgung und Sicherheit. Sollte der Schuldner also säumig werden, droht ihm der Eigentumsverlust. Mit aus dem Nichts geschöpftem Geld kaufen sie die Welt!

Geldschöpfung gehört meiner Ansicht nach aber nicht in die Hand privater Geschäfts- oder privater Zentralbanken, sie gehört vielmehr in öffentliche Hand. Sie hat sich am Gemeinwohl zu orientieren, sollte dabei aber nicht unter dem Einfluß einer Regierung stehen, weil das in der Geschichte oft genug mißbraucht worden ist. Ich habe vor einigen Jahren die Idee einer unabhängigen Institution namens „Monetative“ in die Diskussion gebracht, und diese Idee findet zwischenzeitlich mehr und mehr Beachtung. Im Bereich des Geldwesens könnte diese Einrichtung neben der Legislativen, Exekutiven und Judikativen als vierte unabhängige Säule des Staates für die Schöpfung, Emission und die Steuerung des Geldumlaufes verantwortlich sein und könnte dem Staat sogar zinslos Mittel bereitstellen.

Bei der „Fed“ (Federal Reserve) oder der Bank of England hat man alleine schon vom Namen her den Eindruck, man habe es mit staatlichen Institutionen zu tun. In Wirklichkeit handelt es sich aber um Privatbanken oder Zusammenschlüsse mehrerer Privatbanken. Wieso lässt der Staat sich auf solche Konstruktionen ein?

BERND SENF: Die genannten Zentralbanken sind unter höchst fragwürdigen Bedingungen gegründet und danach kaum hinterfragt worden. Nach außen hin wurde der Eindruck erweckt, es handele sich um staatliche Institutionen. Doch es waren in Wirklichkeit nur Täuschungsmanöver, die mittlerweile auch historisch aufgearbeitet worden sind, zum Beispiel in G. Edward Griffins Buch „Die Kreatur von Jekyll Island“. Der Buchtitel bezieht sich auf die Privatinsel eines Bankiers, auf der hochrangige Vertreter der Finanzoligarchie auf einem Geheimtreffen die Weichen für die Gründung der Fed stellten.

Kurioserweise haben die beteiligten Bankiers sich damals als Entenjäger verkleidet, um nicht in den Fokus des öffentlichen Interesses zu geraten. Es ging diesen Personen um die Etablierung einer privaten Zentralbank und um Strategien, diese brisante Tatsache vor Kongress und Öffentlichkeit zu verschleiern! Das Gesetz mit dem Namen „Federal Reserve Act“ ist dann einen Tag vor Weihnachten in den Amerikanischen Kongreß eingebracht und beschlossen worden! Seither sind die Pflöcke eingerammt! Die US-amerikanische Notenbank besteht aus einer zentralen Fed und 12 sie tragende regionalen Feds, die allesamt in privater Hand sind. Ich persönlich bezeichne die Fed als Dunkelkammer der globalen Finanzwelt, da diese Institution sich seit 100 Jahren nicht in die Karten blicken läßt! Es gibt keine Rechnungslegung, keinen Wirtschaftsprüfer, nichts! Das alles hört sich sehr nach Verschwörungstheorie an. Aber nach gründlicher Recherche bin ich zu dem Schluß gekommen: Es ist seit 100 Jahren Realität!

Als ein Grundproblem für Finanzkrisen wird oft das Zins- und Zinseszinssystem genannt, weil es exponentielles Wachstum verursacht. Obwohl uns dieses Prinzip doch mittlerweile aus Erfahrungen in der Vergangenheit bekannt sein sollte, hat der Zinseszins die Jahrhunderte überlebt und wird auch heute nicht als das eigentliche Problem angesehen. Zu Recht?

BERND SENF: Man muß sich tatsächlich ernsthaft fragen, wieso dieses Problem nicht längst schon mit der ihm gebührenden Priorität behandelt wurde. Es sollte doch längst klar sein, daß die Verknüpfung von Geld und Zinsen Krisen hervorruft. Eines der Kernprobleme liegt dabei in der viel zitierten Mentalität, „Geld für sich arbeiten zu lassen“. Es sind aber immer Menschen, die arbeiten, nicht das Geld! Die teils unfairen Bedingungen, unter denen Schuldner weltweit die Renditewünsche der Sparer und Banken begleichen müssen, um an Geld zu kommen, sieht ein Anleger natürlich nicht, wenn er nur die Prozentzahl vor Augen hat!

Man sollte sich vor diesem Hintergrund die Frage stellen, woher denn die vielen Firmenzusammenbrüche, die wachsenden Schulden und die Überschuldung der Staatshaushalte kommen. Das kann ja nicht alleine das Werk von inkompetenten oder korrupten Politikern sein. In Wirklichkeit hängt das natürlich mit der im „Dunklen“ liegenden Seite des Geldsystems zusammen, also dem wachsenden Druck seitens der Gläubiger auf die Schuldner, sogar auf ganze Staaten! Diese müssen jetzt unter immer widrigeren Umständen dafür sorgen, daß sie wieder an Geld herankommen. Um die Gläubiger bedienen zu können, nehmen die Staaten ihrerseits in ihrer Not den „Staats-Bürger“ in die Pflicht. Ich sage aber nicht, der Zins sei das einzige Problem des herrschenden Geldsystems. Es geht auch um die Geldschöpfung der Zentralbanken und die Giralgeldschöpfung der Geschäftsbanken sowie um das Problem verselbständigter Spekulation, die zu einem völlig ungesunden Verhältnis zwischen Realwirtschaft und Finanzmärkten geführt hat. Diese Themen werden aber kaum ernsthaft diskutiert, nicht einmal von den Wirtschaftswissenschaften. Dabei finden wir diesbezüglich in der europäischen Vergangenheit interessante Lösungsansätze! Beispielsweise gab es eine sehr friedliche Phase in der mitteleuropäischen Geschichte, die über 300 Jahre lang währte.

Sie schreiben davon in einem Ihrer Bücher, während es schwierig ist, über die Zeitspanne, von der Sie berichten, etwas zu recherchieren, denn sie wird nirgendwo aufgeführt. Was geschah damals?

BERND SENF: In den gängigen Quellen, selbst in Ökonomiebüchern, wird man so gut wie nichts finden. Es gibt aber sehr wohl Bücher zu diesem Thema, zum Beispiel „Das Geld in der Geschichte“ von Karl Walker oder „Das Geld der Zukunft“ und „Mysterium Geld“ von Bernard Lietaer. Hier erfährt man, daß es vor einigen Jahrhunderten nicht nur eine lang anhaltende Wirtschaftsblüte gab, das sogenannte Blühende Hochmittelalter, sondern daß damit auch eine kulturelle Blüte, ein Aufblühen der Sinnlichkeit einherging, also eine ganz ungewöhnliche Epoche, verglichen mit dem darauf folgenden finsteren Mittelalter! Aus dieser Blütezeit stammen viele Kulturdenkmäler, gothische Kathedralen, und auch die Städte prosperierten. Man könnte nun meinen, all das sei aus einer extremen Ausbeutung der arbeitenden Bevölkerung hervorgegangen, aber das stimmt nicht; vielmehr ging es den arbeitenden Menschen damals sogar relativ gut. Auf den Speiseplänen konnte man drei reichhaltige Mahlzeiten finden, es gab eine 20-Stunden-Woche und knapp 100 Feiertage im Jahr! Bei Lietaer wird diese Phase im Unterschied zu der vorangegangenen und nachfolgenden Zeitspanne auch als viel weniger patriarchal und gewaltsam umschrieben.

Die Gründe für diese Hochphase sind wohl wesentlich in einem anderen Geldsystem zu finden. Das damalige Münzgeld, die sogenannten „Brakteaten“ – dünne, unförmige Blechmünzen, die am Rand wegzubrechen drohten –, waren derart unattraktiv, daß es allein vom äußeren Erscheinungsbild her schon wenig reizvoll war, dieses Geld zu horten und dadurch dem Wirtschaftskreislauf zu entziehen*. Darüber hinaus sah das System in völlig unregelmäßigen Abständen einen „Rückruf“ der Münzen vor, das heißt, sie wurden aus dem Verkehr gezogen und gegen neu geprägte Münzen eingetauscht. Dieser „Münzverruf“ kam anfangs beim Tod des alten Münzherrn zu tragen, da der Nachfolger Wert darauf legte, daß sein Portrait auf den Geldstücken prangte. Später erfolgte er auch öfter. Die neu geprägten Münzen wurden dabei stets mit einem für den Staatshaushalt vorgesehenen Abschlag von etwa 25 Prozent in Umlauf gebracht, dem so genannten Schlagschatz. Weitere Steuern gab es nicht. Wegen des Abschlags wollten die Bürger keine großen Geldbestände anhäufen, das Ganze verhielt sich so ähnlich, wie beim Kartenspiel „Schwarzer Peter“ – wer alte Brakteaten besaß, hatte verloren! Damit es gar erst nicht so weit kam, wurde das Geld von den Wirtschaftsteilnehmern relativ schnell wieder ausgegeben, und es kam zu einem kontinuierlichen Geldfluß – auch ohne Zins.

Überlebt hat dieses System aber dennoch nicht.

BERND SENF: 300 Jahre sind doch eine lange Zeit! Unser heutiges Geldsystem hat im Vergleich dazu eine Dauer von 50 bis 70 Jahren, ehe es von Krisen geschüttelt zusammenbricht. Ein exponentielles Anwachsen der Geldvermögen funktioniert ja nur auf Grundlage eines exponentiellen Anwachsens von Schulden, und zwar spiegelbildlich. In dieser Logik ist es klar, daß immer mehr Schuldner zusammenbrechen müssen, weil nicht entsprechend mehr Sozialprodukt produziert werden kann. Das ist wie beim Wettlauf zwischen Hase und Igel. Der Hase rennt wie verrückt, weil er meint, er müsse den vermeintlich langsameren Igel einholen können – doch immer ist der Igel schon vor ihm da! Im übertragenen Sinne sind auch die Gläubiger immer schon vor den Schuldnern da, egal, wie diese sich auch anstrengen! Das Maß an Forderungen in dem System wächst eben exponentiell, da hinken diejenigen, die produzieren und arbeiten immer hinterher! Dabei wirkt sich der Wachstumszwang am Ende auf alle Lebensbereiche zersetzend aus!

Ein Problem mit dem exponentiellen Wachstum ist doch, daß uns die Vorstellung für seine Problematik fehlt. Es fällt uns schwer, die Auswirkungen dieses Prinzips in die Zukunft zu projizieren.

BERND SENF: Man muß nur eines verstehen: das exponentielle Wachstum, auf dem unser System basiert, wirkt langfristig wie Krebs! Interessanterweise findet man dieses Prinzip als Anfangsimpuls eines jeden Wachstumsprozesses auch in der Natur. Jedes Lebewesen ist aus dem exponentiellen Wachstum seiner Zellen hervorgegangen. Irgendwann stagniert diese Expansion, der Organismus wird im biologischen Sinne „erwachsen“. Das bedeutet nicht, es gäbe danach keine Entwicklungsmöglichkeiten mehr! Was wir danach vorfinden, ist im Gegensatz dazu jedoch qualitatives, kein quantitatives Wachstum. Qualitativ wächst der Mensch beispielsweise, in dem er sich geistig entfaltet.

Wir müssen verstehen lernen, daß es auf Dauer unmöglich ist, quantitatives exponentielles Wachstum zu haben! Die Analogie zwischen biologischem Krebs und exponentiellem Wachstum in der Finanzwelt ist frappierend, dennoch verschließen die meisten die Augen davor. Bekanntlich hat auch Goethe sich in seinem Faust mit der Thematik beschäftigt. In Faust II setzt Mephisto Faust den Floh ins Ohr, er solle sein Glück mit dem Geld, beziehungsweise mit der Geldschöpfung versuchen, nachdem es mit der Liebe nicht geklappt hat. Das ist eine gewaltige Aussage! Aus enttäuschter Liebe und der Verdrängung des Schmerzes werden Menschen gierig nach etwas anderem, suchen Ersatzbefriedigungen wie etwa Geld oder Macht.

Ja, die Gier ist sicher die eigentlich treibende Kraft hinter allen Problemen. Herzlichen Dank für dieses Gespräch!

* In einem Aufsatz erklärt Prof. Bernd Senf diesen Sachverhalt wie folgt:
„Das Geld ist einerseits ein Tauschmittel – und kann diese Funktion nur erfüllen, wenn es kontinuierlich im Produktions- Einkommens-Kreislauf der Wirtschaft fließt.
Es kann aber auch von denen, die es übrig haben, diesem Kreislauf entzogen werden, um damit zu spekulieren. Es kann einen hinreichend attraktiven Zins von denen erpressen, die dringend auf Kredit und auf den Durchfluss des Geldes angewiesen sind. Wenn dieser Zins nicht geboten wird, kann sich das Geld dem Produktions- Einkommens-Kreislauf entziehen indem es z.B. nicht bei den Banken angelegt wird und dieser dadurch weniger Kredite geben können. Es kann sich zum Beispiel in die Spekulation an die internationalen Finanzmärkte begeben, die unter diesem Einfluss immer mehr durchdrehen und von der Realität abheben, bis die Spekulationsblasen platzen. Die Funktion des Geldes als Spekulationsmittel tritt also in Gegensatz zu seiner Funktion als Tauschmittel und treibt insoweit Krisen hervor.“

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