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Berge, Seen, sattes Grün – Unterwegs am schottischen „West Highland Way“

Ein typisches Reiseland verfügt laut inoffizieller Wunschliste über viel Sonnenschein, hohe Temperaturen und, neben weißen Sandstränden, meist noch über eine besonders feine Küche. Die Attraktion solch eines Reiszieles ist wohl der Genuß schlaraffenlandähnlicher Behaglichkeit, in die man sich ohne Zutun oder große Abenteuerausrüstung gerade so hineinfallen lassen kann. Um es schnell vorwegzunehmen: mit alledem kann Schottland nicht aufwarten, denn das Vergnügen an diesem Land will hart erworben sein! Das heißt aber im Umkehrschluß nicht, daß Schottland kein attraktives Reiseziel wäre, oh nein! Man muß nur Geduld haben und mit anderen „Parametern“ rechnen. Hier drei Grundregeln, die den Aufenthalt erleichtern:
1. Es gibt keine Garantie für sonniges Wetter! Es kann jederzeit und urplötzlich regnen.
2. Versuchen Sie nicht, Ihren Aufenthalt auf Grund von Wetterprognosen zu planen, das funktioniert nicht!
3. Freunden Sie sich mit dem Regen an – er will ihnen etwas sagen!

Schottland ist eine Aufforderung, an seiner Einstellung zu feilen – dann wird man von der einfachen Schönheit und der Anmut dieser uralten Kulturlandschaft ergriffen sein.
Wer in die Einsamkeit alter schottischer Wanderwege eintauchen möchte, die sich bis an den Horizont über karges, farnbewachsenes und moosbedecktes Hügelland erstrecken, der muß den Launen des Wetters unbedingt etwas Wasserdichtes entgegensetzen, wasserfest genügt hier nicht! Regenjacke, wasserdichte Wanderstiefel, Multifunktionshose, Hut, Waffen gegen die lästigen Moskitos (die wahrscheinlich nutzlos sind), ein XXL-Poncho und Blasenpflaster – so kann man sich der Natur hingeben!

Jeder Tropfen, der an die Kleidung klopft, ist auch ein Angebot zur Zwiesprache mit der Natur! Der Regenponcho ummauert den Blick wie eine Scheuklappe, nichts lenkt ab, die Aufmerksamkeit ist nach vorne gerichtet, und so stellt man dann seine Fragen, die der gute Regen und sein Freund Wind beantworten … Lebenskünstler und nette Rauhbeine, nüchterne Romantiker und Idealisten, sie tummeln sich auf diesen einsamen Landstraßen und suchen die Freundschaft zur Natur, schätzen ihren Rat!

Oft wechseln die Lichtstimmungen rasant von heiterer Unbekümmertheit zu ergreifender Dramatik. Schräge Lichtsäulen durchbohren regenschwangere und tiefhängende Wolken, während der Wind die Inszenierung lautstark untermalt. Ringsum wird es leuchtend dunkel, ganz eigenartig – die Zeit steht still. Grauvariationen umschmiegen den Wanderer zärtlich, der Wind verbläst die letzten Reste der üblichen eigenen Geschäftigkeit, man fühlt sich so ruhig und frei wie schon lange nicht mehr. Ein schlichter Gedanke geht, man atmet tief die kühle Luft ein, der nächste Gedanke kommt, immer langsamer, bis da oben Stille ist und der Wandersmann voll Tatendrang, behütet von der Natur, seinen nächsten Schritt auf zeitlosen Pfaden geht … wie außen, so innen: Gemüt zum Anfassen!

Ein ganz besonderer Wanderweg ist die 152 Kilometer lange Route von Milngavie nach Fort William, der sogenannte „West Highland Way“! Diese meistbegangene schottische Strecke vereint in sich alles, was für das Land so typisch ist: wunderschöne Lochs (Seen) mit ihrem farbenprächtigen Sonnenstimmungen, Bens (Berge), die sich mit ihrer Moospracht sanft in die Landschaft einschmiegen, Moorlandschaften (Glens), kühle Täler mit wilden Wasserfällen und malerische Steinbrücken, welche sich über eine Unzahl von Bächen erstrecken.
Besonders sehenswert ist der Loch Lomond, Schottlands größter Süßwassersee. Er wird von zahlreichen Bergen umlagert, wobei der Ben Lomond einen fantastischen Ausblick auf die zerklüftete Seen- und Berglandschaft erlaubt. Die nächsten Tage führen quer durch das Hochland, die Highlands, vorbei an Schottlands größtem zusammenhängenden Moorgebiet, dem Rannoch Moor, um schließlich über Glen Coe an den Kinlochleven-Paß zu gelangen. Es ist im Übrigen keine Schande, für ein Stück des Weges auch einmal den Zug zu nehmen, da viele Zugstrecken einen ganz besonderen Blick auf die Landschaft gestatten.
In Fort William, am Fuße der höchsten Erhebung Englands, des Ben Navis, endet der Weg mit der obligatorischen Erklimmung des zirka 1400 Meter hohen Berges.

Viele Tage intensiver Naturbegegnung liegen nun hinter dem Wanderer, doch wer sein Ziel erreicht hat, dem hat der West Highland Way unbemerkt Ruhe, Zuversicht und Kraft mit in den Rucksack gepackt – alter Haudegen!

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