lebenswertes

Kay Pollacks „Wie im Himmel“ – Reise in die Fremde und zurück

Das Spielen mit scheinbar nutzlosen Dingen, die pure Verschwendung von Zeit ohne den Schimmer eines schlechten Gewissens, Augenblicke des selbstvergessenen Hierseins, des staunenden Eintauchens in wertvolle Banalitäten und eine reine, also gedankenfreie Freude … das Schöne an einer echten Kindheit ist, daß die Heranwachsenden gar nicht wissen, warum oder worüber sie eigentlich glücklich sind – sie sind es einfach und sie stecken mit ihrer Unbeschwertheit an!

In dieser so prägenden Zeit ist ein Kind tatsächlich mehr Bewohner des Himmels denn der Erde und für die tief in dem panzerartigen Rüstzeug ihres Körpers steckenden Erwachsenen oft ein unfaßbares Mysterium. Streifen wie Frank McCourts wunderbares und prämiertes Werk „Die Asche meiner Mutter“ oder Lee Halls „Billy Elliott“ thematisierten jene kostbaren und prägenden Phasen des Lebens, indem sie die Etappen junger Seelen nachzeichnen, die sich trotz aller Wirren den „Geist ihres Himmels“ lebendig hielten.

Wenngleich nun das Spielfilmdrama „Wie im Himmel“ des wohl populärsten schwedischen Filmemachers Kay Pollak nicht das Kind zum Mittelpunkt seiner Handlung auserkoren hat, so deutet der Titel doch an, daß der Regisseur auf ein Wiedererleben kindlicher Sehnsucht abzielt, die den meisten Menschen später so jäh abhanden kommt.

Bemerkenswert ist die Analogie zwischen dem Privatleben des Regisseurs und dem Drehbuch seines jüngsten Streifens. Als Pollaks letzter Film, „Love me!“ vor 20 Jahren in den Kinosälen anlief, wurde er in Schweden ähnlich stürmisch gefeiert wie es im Jahre 2005 bei „Wie im Himmel“ der Fall war. Tragischerweise entpuppte sich der Erfolg des Films für den talentierten Regisseur zum schicksalhaften Fluch: Nach dem Besuch einer der ersten Vorstellungen von „Love me!“ wurde der als Menschenfreund bekannte und beliebte Premierminister des Landes, Olof Palme, auf offener Straße ermordet. Diese Tat schockierte die Welt und traumatisierte ganz Schweden. Als direkte und persönliche Konsequenz beendete Pollak seine Karriere und wandte sich vom Filmemachen ab. In den folgenden beiden Jahrzehnten leitete er Seminare und hielt Vorträge zum Thema Persönlichkeitsentwicklung.

Gleitet der Chor in eine allzu ausgelassene, sündhafte Stimmung ab?
Die Idee zu „Wie im Himmel“ könnte ihm wohl dabei gekommen sein, beispielsweise während eines Aufenthaltes im kargen, kalten und lichtarmen Norden seines Landes, als er Blicke auf die schwermütigen, leeren oder verängstigten Gesichter so mancher Mitmenschen werfen konnte und sie verzweifelt nach einem Glück suchen sah, das sie einst schon gefunden hatten. Ähnlich wie Pollaks filmisches Alter Ego Daniel Dareus (Michael Nyqvist) muß er zu dem Schluß gekommen sein, daß es immer einer „Bildungs- und Aufklärungsreise“ bedarf, um das profane Glück vor der eigenen Haustür zu aktivieren, an dem man tagtäglich vorbeigeht. Mit seiner Rückkehr in die Lichtfilmhäuser eroberte ein gereifter Pollak (66) jedenfalls die Herzen des schwedischen Publikums. „Wie im Himmel“ avancierte mit über zwei Millionen Besuchern (bei acht Millionen Einwohnern!) zu einem der erfolgreichsten Streifen der schwedischen Filmgeschichte. Aber auch über die Landesgrenzen hinweg empfahl sich das Werk und erhielt 2005 den Oscar in der Kategorie „Bester ausländischer Film“. –

Lebensnähe erfahren: Als Dirigent war für Daniel Dareus (Michael Nyqvist) nichts wichtiger als Perfektion, Harmonie und Gleichgewicht. Das Radfahren muß er allerdings erst lernen …
Daniel Dareus, ein weltbekannter Dirigent, ist seit seiner Kindheit beseelt von dem Wunsch, durch Musik die Herzen der Menschen zu erreichen. Während er als Mann an den Musikhäusern der Welt frenetisch gefeiert wird, nagt in ihm doch die Erinnerung, wie brutal er einst in seinem Heimatdorf von seinen Altersgenossen drangsaliert, geschlagen und gedemütigt wurde, bis ihn seine Mutter durch einen Umzug dem Konfliktfeld entzog – und ihm damit die Chance nahm, seine Probleme selbst zu lösen.

Auch wenn die heldenhafte Inszenierung eines in seiner Berufung aufgegangenen Dirigenten das Kinopublikum für kurze Zeit glauben macht, daß hier ein Mensch gegen alle Pein seinen Himmel von einst verteidigt hätte – der nächste Schnitt zeigt klar, wie unglücklich, verzweifelt und verbraucht der Künstler in Wirklichkeit doch geworden ist. Keine Konzertprobe vergeht, ohne daß das Ensemble seinen bitteren und harschen Mißmut zu spüren bekommt, da Daniel in einer unerreichbaren überirdischen Perfektion den ersehnten Frieden sucht.

Auch wenn er es zwischenzeitlich mit viel Ehrgeiz und Selbstkasteiung zur Meisterschaft gebracht hat, ist er doch alleine geblieben, kalt und freudlos im Herzen, den Noten, nicht den Menschen zugetan. Nach einem beinahe vorauszusehenden Herzinfarkt auf offener Bühne beendet der Star seine Karriere und zieht sich ohne weitere Zukunftspläne in sein Heimatdorf zurück.

In eindrucksvollen Bildern schnörkelloser nordischer Schönheit malt Pollak hier das Dorfszenario auf Celluloid und führt nun nach und nach die Charaktere ein, während ein sichtlich aufblühender Daniel in dem alten Schulhaus ein spartanisches neues Zuhause findet … und sich das erste Mal in seinem Leben in eine junge Frau verliebt.

Den einzigen Bezug zur Musik, den Daniel hier vorfindet, ist ein Kirchenchor aus Laien. Obwohl er sich anfangs massiv gegen eine erneute musikalische Betätigung wehrt, entwickelt sich ganz unwillkürlich doch ein liebevoller Kontakt zu diesem Chor durch sein aufflammendes und wahrhaftiges Interesse an den Menschen des Dorfes, und der Maestro entschließt sich zur Annahme der vakanten Kantorenstelle. Anders als bisher berührt die Musik sein Herz, gebunden an die Zuneigung zu den einzelnen Chormitgliedern … als ob etwas Wertvolles, Unbezahlbares, verloren Geglaubtes in ihm „Hallo“ sagte. Daniel legt seinen Ehrgeiz ab, all die Prinzipien einer nur der Perfektion verhafteten Musik, in der eine ganze Welt verlorenging, und wendet sich seinen Mitmenschen zu. Erkennt fasziniert, was sie unbewußt eigentlich mit der Musik auszudrücken und zu leben versuchen – ihren Himmel, ihre Sehnsucht! Er entwickelt mit viel Engagement ein sehr unorthodoxes „Trainingsprogramm“, um die musikalisch ungebildeten und gehemmten Chormitglieder aus der Reserve zu locken und ihnen ein Gefühl für ihre natürliche Begabung zu vermitteln. Sie sollen sich dabei sogar – was sie sonst immer sorgsam vermieden haben – gegenseitig berühren …

Daß man als Zuschauer genießen kann, wie sich die Gesangskünste des Chors bei jedem Auftritt verbessern, ist dem schwedischen Starkomponisten Stefan Nilsson zu danken, der eine wunderbar zum Film passende Musik schrieb und dem Chor diese spezielle Mischung aus Authentizität und professioneller Engagiertheit gab.

Daniel wirkt durch das Training und sein Charisma wie ein Katalysator auf die Dorfgemeinschaft, und die Folgen sind revolutionär: Während die Chormitglieder zu neuem Leben erwachen und ihre so lange schlummernden Fähigkeiten und alte Lebensfreude wieder entdecken, brechen auf der anderen Seite auch schwelende Konflikte in Freundschaften und Ehen hervor. Falsche Arrangements verlieren ihre nur aus Furcht und Sicherheitsstreben gewonnene Bindungskraft – ein Ruck geht durch das Dorf …

Da ist zum Beispiel der Heißläufer Conny, der den kleinen Daniel schon als Jungen verprügelt hat und es nicht ertragen kann, daß seine Frau als Solistin im Chor nun ihr eigenes Glück findet. Oder der evangelische Pfarrer, der an seinem inneren Zwiespalt zwischen Kirche und Ehe scheitert: Während er den „heiligen“ Teil seiner Persönlichkeit in seiner Seelsorger-Rolle nach außen kehren konnte, lebte ein anderer, noch unkultivierter Teil ein gemächliches Schattendasein – bricht aber nun, seiner Existenz entlarvt, in wilder Verzweiflung aus jenen dunklen Gefilden hervor, um Daniel als den Urheber von Unsittlichkeit und Sünde zu brandmarken.

Die Wellen schlagen hoch, doch bald ist die aufbauende Wirkung von Daniels Arbeit nicht mehr zu übersehen. Er selbst begreift, daß er aus seiner „Reise in die Fremde“ Wissen mit zurück in seine Heimat bringen konnte, das nicht nur die Herzen der anderen, sondern auch sein eigenes für das Glück geöffnet hat – durch die bisher fehlende Zutat „Liebe“! Im Miteinander finden alle ihren persönlichen „Himmel“ wieder und bringen ihn mit ihrer „Chorbewegung der Herzen“ auch auf die Erde.

Wie heißt es so treffend? Wer nah am Menschen ist, der ist auch nah an der Wahrheit!

 

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