lebenswertes

Steven Spielbergs „Schindlers Liste“ – Die Liste des Lebens

Es ist eine eigenartige Liaison, wenn Hollywoods Hitgarant Steven Spielberg sich an ein solch brisantes und in seinen politischen und menschlichen Dimensionen gewaltiges „Thema“ wie den Holocaust heranwagt. Hier der Herr der Blockbuster, des seichten Effektkinos mit dem unfehlbaren Gespür für den Affekt und der damit verbundenen lukrativen Fixierung der Massen am Kinosessel und dort … Thomas Keneallys eindringliche literarische Drehbuchvorlage „Schindler’s Ark“ (Schindlers Arche) über ein unbegreifliches Kapitel der Menschheitsgeschichte, das gebrandmarkt ist durch Leid, allgegenwärtigen Tod und unerträgliche Schicksale inmitten eines Jahrhunderts des völkischen Blutrauschs. Es wirkt so gesehen fast wie Hohn, wenn gerade der Musterschüler des „Popcornkinos“ eine Hommage über die Millionen von gedemütigten und getöteten Menschen inszeniert. Was, so fragt man sich, will und kann einer, der außerirdische Plüschtierchen „nach Hause telefonieren“ läßt und den weißen Hai als Personifikation des menschenfressenden Mörders etablierte, hier am historisch verbrieften Ende der Menschlichkeit überhaupt „zeigen“ und somit im Menschen berühren? Plumpe „Dagegen-Platitüde“ wie Haß auf „Nazi-Monster“ oder steriles Mitleid, das vom Kinosessel aus doch nur zur heimlich unterhaltsamen Achterbahnfahrt der Gefühle mutieren kann und somit die reelle Qual anderer für banalste Unterhaltung instrumentalisiert?

Es ist ein gefährlich dünnes Eis, wenn Menschen es wagen, Schicksale anderer zu interpretieren oder gar als Vehikel fürs eigene Ego zu mißbrauchen. Andererseits entsteht beim Betrachten von Erschießungen, hinter denen echte Menschen stehen, natürlich ebenso eine Verantwortung für den Zuschauer! Es wäre zu einfach, sich in der „Zeitmaschine“ Film im nachhinein ohne kritische Eigenreflexion auf die Seite der offensichtlich „Guten“ zu stellen, um so legitimiert das Dargebotene, frei von einem schlechten Gewissen, „genießen“ zu können, während im handfesten Alltag der ureigene, also spontane Beweis innerer Güte in den verwinkelten und weniger plakativen Analogien von Not und Elend aus irgendwelchen „klugen Gründen“ ausbleibt. Man sollte sich, so gesehen, keinen Illusionen hingeben: soviel ein Film gesellschaftlich oder im Einzelmenschen auch zu bewegen vermag: das Leid des Nächsten bleibt selbst beim besten Vorsatz und größten Talent nicht wiederholbar, nicht vermittelbar, ist immer Teil des Individuums und seines ureigenen Schicksals.

Spielberg wußte zum Glück spätestens bei diesem Streifen von der entscheidenden Limitation seines geliebten Mediums und respektierte deshalb beim wichtigsten Film seiner Karriere, für den er auch den lang ersehnten Drehbuch-Oscar bekam, die für Überzeugung unabdingbare Autonomie des Eigenerlebens, in dem er den Kinobesucher nicht bevormundet, sich nicht an der finalen Authentizität der Bilder versucht, sondern diesem Zeitzeugnis als bildgewaltiger und packender Chronist dient.

Spielbergs Film „Schindlers Liste“, der 1994 uraufgeführt und in Folge mit sieben Oskars prämiert wurde, erzählt die wahre Geschichte des bekannten deutschen Industriellen Oskar Schindler, der in den Wirren des Zweiten Weltkriegs mit viel Instinkt, Kühnheit, aber auch unter Einsatz des eigenen Lebens beinahe 1.200 Juden vor der Vernichtungsmaschinerie der Nationalsozialisten rettete. Mit dem Vorwand, seine Arbeiter würden in „kriegswichtigen Diensten“ eingesetzt, schafft er es immer wieder, die kaltblütige Liquidationspraxis in den Konzentrationslagern zu reduzieren, so daß seine Emailwarenfabrik inmitten des Schreckens zur Insel der Hoffnung wird. Dabei hätte man anfänglich diese so großmütige Tat gar nicht zu hoffen gewagt, da Schindler seine Firma natürlich nicht aus reiner Selbstlosigkeit, sondern aus puren geschäftlichen Motiven gründet und diesem Geschäftstrieb allen Vorrang einräumt.
Spielberg weicht der geschichtlichen Forderung dieser charakterlichen Ambivalenz aus Hedonismus und Altruismus nicht aus, was, nebenbei bemerkt, aber auch wunderbar zum klassischen Hollywood-Plot des tragischen Helden paßt, der durch widrige Umstände die Wandlung vom Zweifler oder verirrten Schaf zum geläuterten Helden vollzieht!

So betrachtet der Zuschauer im „Prolog“ des Films die vielen skurrilen Geschäfte, Kuhhandel und Bestechungsszenen, in denen Schindler, verkörpert durch einen grandiosen Liam Neeson, weder den enteigneten jüdischen Fabrikbesitzer, seine eigene Ehefrau, noch so ziemlich jeden SS-Granden der polnischen Provinz um Krakau ausläßt! Im Schatten dieses Systems wird aus der beschaulichen Firma für Emailwaren schließlich eine florierende Fabrik für Feldküchen und Munitionshülsen, mit der Schindler vor der allgegenwärtigen Kulisse des Weltkrieges binnen kurzer Zeit zum reichen Mann wird. Auch als zwischenzeitlich mit der Errichtung des berüchtigten Krakauer Ghettos im Stadtteil Podgórze begonnen wird, in dem ca. 20.000 polnische Juden unter unglaublich miserablen Bedingungen zusammengepfercht werden und Dutzende tagtäglich durch Hunger oder die Gewalt von Nazi-Schlägertruppen sterben, bleibt Schindler dem Treiben gegenüber seltsam gelassen und eigenartig meinungslos. Einzig durch Itzhak Stern, Schindlers genialem jüdischen Buchhalter und rechter Hand, der durch einen gewohnt brillanten Ben Kingsley zum Leben erweckt wird, entsteht langsam aber merklich eine gewisse Empathie für das Leiden der Lagerinsassen. Um Sterns leisen Edelmut und unzerstörbare Würde kontrastreich zu transportieren, könnte man sich wohl keine bessere Besetzung wünschen als den Gandhi-Darsteller Kingsley, vor dem sich einst eine ganze indische Nation in Liebe verneigte!

Die Wandlung vom unbeteiligten Geschäftsmann zum engagierten Menschenfreund läutet der zäsurartige Einzug des SS-Offiziers Amon Göth ein.

Sein Auftrag ist so simpel wie grausam: Auflösung des Ghettos, Überführung der Insassen ins benachbarte und neu errichtete Konzentrationslager PÅ‚aszow, Zwangsarbeit, welche Geld einspart und die „Feinde“ in den sicheren Tod treibt. Wer sich die Mühe macht und hier etwas gründlicher recherchiert, der wird beispielsweise in den tödlichen „Schießübungen“, welche Göth von seinem Schlafzimmerfenster aus an den Lagerinsassen durchführte, mit Schrecken die detailgetreue Nachstellung historischer Fotografien entdecken! Noch perfider erscheint Göth im Film durch die Besetzung der Rolle mit Ralph Fiennes, dem wunderbaren „Englischen Patienten“ oder sanftmütigen Menschenrechtler aus „Der ewige Gärtner“, Streifen, in denen er sich einem Millionenpublikum durch seine Sensibilität und Warmherzigkeit einprägte! Genau dieses zerbrechliche Filmwesen scheint permanent durch die kaltherzige Fratze Göths hindurch und wirft damit die subtil bohrende Frage auf, wie gerade solch ein Mensch zu so einer Bestie werden konnte. Er ist somit nicht nur einfach ein Protagonist oder ein vom Zuschauer weit entfernter „exemplarisch böser Mensch“, sondern das Böse im Menschen, die Endstrecke jeder Entkernung, das angesichts der sich darstellenden Abgründe regelrecht zur Reflexion gebietet und den Mechanismen des Bösen somit seine schrecklichen Geheimnisse entlockt!
Dort, wo inmitten des Wütens jedes weitere Bild, jede weitere Trickmontage und schauspielerische Hochleistung inflationär, aufgesetzt oder heuchlerisch wirken würde, setzt Spielberg konsequent auf die Kraft der Reduktion. Die monochrome Darstellung des bis auf drei Szenen ausschließlich in schwarz-weiß gedrehten Films, reduziert schon alle unnötigen, ablenkenden Informationen und weist in ihrer zeitlosen Art ohne Umwege auf das Leitthema hinter den Bildern hin. In einer der ergreifendsten Szenen, in der die SS das Ghetto mit äußerster Brutalität „säubert“, setzt der Regisseur den Fokus schlicht auf ein kleines Mädchen in einer roten Jacke, das völlig losgelöst, deplaziert und dennoch eigenartig zielstrebig inmitten des mörderischen Chaos umherläuft und in diesem visuellen Impuls nicht polarisierender, nicht ergreifender hätte sein können. Wie in einem zufälligen Schnappschuß fängt die Kamera Janusz Kaminskis mit einem gewaltigen Teleobjektiv diese bizarre Szene ein: weit entfernt vom materiellen Leid, doch um so näher an einer erhabenen Reinheit, die sich in der Kinderseele widerspiegelt und den Zuschauer, getragen von Itzhak Perlmans beinahe schmerzendem Geigenspiel, aus dem Dunkel des Theaters in den Schrecken dieser Zeit zerrt.

Als Schindler von Göth erfährt, daß das Lager geräumt und die Insassen zur „finalen Lösung“ nach Auschwitz deportiert werden, setzt er nun kurz entschlossen all sein Vermögen und seinen Geschäftssinn ein, um so viele „Todgeweihte“ wie nur möglich in den rettenden Schutzwall seiner Firma zu schleusen. Es entsteht die berühmte „Liste des Lebens“, auf der die Namen der 1.200 freigekauften „Schindler-Juden“ stehen und … „um die herum nichts als der Tod ist!“ … Bei aller Dramatik verbleibt der Zuschauer dem Leid dieses Films gegenüber immer nur wie Platons Beobachter im „Höhlengleichnis“, dem Urbild aller Kinematografie: er sieht im Spiel aus Licht und Schatten einzig eine Projektion des Lichts, nie aber die Lichtquelle selbst, wandelt in seiner individuellen Deutung und Unfertigkeit von einer Illusion zur nächsten, Wahrheit vermutend, und erkennt im Schauspiel doch nur jene Fragmente, die seinem Leben, seinem Leiden und Streben am nächsten sind. Es bleibt zu hoffen, daß dieser Film dennoch genug Gewicht hat, um anzuregen, bei schwerwiegenden Entscheidungen inmitten eigener harter Erfahrungen das hoffnungsvolle Quentchen Gegengewicht zum Bösen zu sein.


Filmempfehlung:
Der Film „Schindlers Liste“ ist als Doppel-DVD (Universal Video 822 078 0) erhältlich. Für diese DVD wurde zusätzlich zum Hauptfilm (187 Minuten) eine Dokumentation mit persönlichen Erfahrungsberichten von Augenzeugen hergestellt. Außerdem ist eine Filmdokumentation über die „Shoah Foundation“ Steven Spielbergs zu sehen, die Berichte von Überlebenden und Zeugen des Holocaust dokumentiert und archiviert. Ein Begleitheft informiert über die Entstehungsgeschichte des Films und rundet die aufwendig gestaltete DVD, die erst 2004 auf den Markt kam, ab.

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