lebenswertes

Sam Mendes’ „Zeiten des Aufruhrs“ – Amoklauf auf Raten

Fassungslos stehen wir vor den Wahnsinnstaten junger Menschen, die scheinbar aus heiterem Himmel von netten, unauffälligen Nachbarsjungen zu schwarzbekleideten, waffenstrotzenden Killermaschinen mutieren und dabei an Schulen so unsagbares Leid anrichten. Wie konnte sich nur ein solch morbider Pesthauch seinen Weg durch die duftende Rosenpracht blühender Jugend bahnen? Auch wenn die üblichen Verdächtigen wie „introvertierter Außenseiter“, „Schieflage im Elternhaus“, „Demütigungen“ und natürlich „Killerspiel-Konsum“ schnell gefunden sind und griffig präsentiert werden, so stellt sich doch die Frage, ob diese Faktoren ernsthaft als Ursache für jene schrecklichen Bluttaten genügen können oder ob man den Blick nicht ebenso auf die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen richten muß. Viele der Täter hatten nun einmal gegen alle Klischees auch sensible Eltern, gar einen kleinen Freundeskreis oder kamen aus einer gutsituierten Mittelschicht.

Dennoch empfanden die meisten dieser Jugendlichen wohl früh jene bedrückende Ohnmacht gegenüber dem obligatorischen Eingepreßtwerden in sinnlose Lebensvorlagen, die einem Menschen erst durch ganz spezifische Leistungen einen Wert beimessen. Gleicht, so gesehen, das bedrückende Milieu allgemeiner Perspektivlosigkeit in unserem Wohlstandsstreben nicht viel eher einer seelischen Dürrezone, in der unvermeidbare „pubertäre Funken“ schon einen Flächenbrand im Sommergerstenfeld entfachen können? Egal, in welcher Stärke Gewalt sich auch artikuliert, es sind letztlich verzweifelte Ausbruchsversuche, die gerade in der Phase der Pubertät ihren Ausdruck mit größter Konsequenz suchen, gilt es doch, das innere Drängen nach einer heilen Welt zu ergründen und ohne die vorprogrammierte Korruption beim Erwachsenwerden in die Welt zu tragen! Sicherlich ist es hierbei krankhafter Wahn, der den Amokläufer letztlich zum tödlichen Befreiungsschlag gegen jedweden Druck befähigt; die Tatsache jedoch, daß der brave Rest der Gesellschaft in diesen Aufruhrzeiten nicht zu Amokläufern wird, sagt noch lange nichts über das verbliebene Gewaltpotential oder Eigenzerstörungstendenzen aus, die man später in der Erwachsenenwelt wieder trifft …

Kate Winslet
Wer Sam Mendes’ 2008 ausgestrahltes Melodram Zeiten des Aufruhrs zu sehen beabsichtigt, der sollte sich im Vorfeld klarmachen, daß weder Richard Yates’ schonungslose Romanvorlage Revolutionary Road noch die geballte sozialkritische Filmographie Mendes’ für einen spaßigen oder unbeschwerten Kinoabend zu haben sind – zu groß wäre die Gefahr, sich bei einem der erschreckend realistischen Dialoge am Popcorn zu verschlucken! Was Cineasten in Zeiten des Aufruhrs vielmehr erwarten müssen, ist hochverdichtete Gesellschaftskritik, sensationelles Schauspiel vom einstigen Titanic-Traumpaar Winslet/DiCaprio und vor allem … die dramatischsten Dialoge, die es seit langem im Kino gab!

April (Kate Winslet) und Frank (Leonardo DiCaprio) lernen sich, wie so viele junge Paare, bei einer stimmungsvollen Party kennen und bemerken wohl schon beim ersten tieferen Gespräch, daß sie zu denselben avantgardistischen Vorstellungen vom Leben neigen. Es wäre nun reichlich übertrieben, die beiden als intellektuelle Querdenker oder gar politische Aktivisten zu bezeichnen; vielmehr sonnen sich April und Frank lieber im Kreise großer Ideen, um mit dieser parfumgleichen Attitüde ihre wie auch immer geartete Andersartigkeit zu unterstreichen. Allen Ernstes denken die vermeintlichen „Dissidenten“, daß eine Handvoll über den Tellerrand geläufiger Lebensmodelle ragender Absichten für eine Zweisamkeit außerhalb der üblichen Klischees reichen könnte und sie sich damit eine sichere Trutzburg gegen den massiven Anpassungsdruck des biederen Fünfzigerjahre-Amerikas errichtet hätten. Tatsächlich schafft Mendes die Demontage dieser gut gemeinten, aber wenig fundierten Vorstellungen in nur wenigen Filmminuten, indem er schon in der nächsten Szene das mittlerweile verheiratete Ehepaar Wheeler an einem dunklen Autobahnparkplatz einen derart verbitterten Streit ausfechten läßt, daß man sich als Zuschauer schockiert fragt, wie das Paar wohl die nächsten 110 Minuten überstehen wird! Pikanterweise ist der Ausgangspunkt dieses Streits eine völlig mißratene Theateraufführung der eher mäßig begabten Schauspielerin April, deren Theaterambitionen jedoch Teil ihres großen Traumes vom Anderssein waren. Nach diesem verfahrenen Schema folgen nun viele schmerzhafte Schlagabtausche über den Wurzelgrund eigenen Verhaltens, die dem Ehepaar stets neue Ernüchterung und Desillusionierung bringen, dem Publikum jedoch spektakuläre Gespräche „bescheren“, die derart auf den Punkt gebracht und aufschlußreich sind, daß man aus der absoluten Verblüffung, dem Nachdenken und Betroffensein nicht mehr herauskommt, wobei die Leistungen des legendären Gespanns Winslet/DiCaprio einen eigenen Artikel wert wären. Ob es die zwiespältigen, Hoffnung suchenden Blicke DiCaprios, seine auf Verzweiflung basierenden Wutausbrüche sind oder die Verwunderung über eine unverstandene Welt ist, die sich in Kate Winslets aufgebrachten Augen widerspiegelt, stets wird man durch die schauspielerische Eleganz der beiden Mimen tief ins Geschehen gezogen und bemerkt an der mittlerweile schal gewordenen Cola, daß man das materielle Gefüge um sich wohl schon für eine Weile verlassen haben muß! Kurz erwähnt sei auch die brillante Leistung Michael Shannons alias John Givings.

Der ehemalige Mathematiker, der durch die Hölle mehrerer Schizophreniebehandlungen jegliches Gespür für Zahlen und damit den Bezug zum Leben verloren hat, gestaltet sich in seiner manisch depressiven Art zum weisen Narren des Streifens. Es versteht sich von selbst, daß der Regisseur so manche Szene wohldosiert mit dem „Glutamat“ dieses „Moderators wider Willen“ würzt, um mit der knurrig verklärten Art die vernebelte Situation zwischen den Wheelers und ihrem Umfeld wie eine komplizierte Gleichung in ihre Urbestandteile zu kürzen!

»Es ist leicht, in Gemeinschaft zu leben nach den Regeln der anderen. Es ist ebenso leicht, zurückgezogen zu leben nach den eigenen Vorstellungen. Größe aber bezeugt, wer inmitten der Menge freundlich die Unabhängigkeit des Einsamen bewahrt.«

Ralph Waldo Emerson

 

Die Revolution frißt bekanntlich ihre eigenen Kinder, und auch die Wheelers mutieren mit dem Umzug nach Connecticut in die biedere Revolutionary Road – die „Straße der Revolution“ – zu jenen uniformen „Vorstadtklonen“, die sie nie sein wollten. Während Frank auf dem gewohnten Weg zum verhaßten Job sich tagein, tagaus durch beängstigende Monokulturen anzugbekleideter Leidgenossen kämpft, muß April inmitten der Einöde sich gleichender Häuser gut aufpassen, die richtige Tür zu erwischen – Tristesse, die in sagenhaft melancholischen Bildern Wirkung hinterläßt.

In dieser verfahrenen Situation sieht April nur zwei Möglichkeiten: entweder ergibt sie sich der unliebsamen Minimalausführung ihres eigenen Daseins, oder sie versucht gemeinsam mit Frank ihr Glück in einer rahmensprengenden „Wahnsinnsidee“ – eine Entscheidung, die einem „Amoklauf auf Raten“ gleicht, wie sich später zeigen wird! April erinnert sich an die schönsten Zeiten mit Frank, damals, als sie sich frisch verliebt hatten und er noch vom leichten Leben in Paris schwärmte, das er als Soldat bereist hatte. In einem herzergreifenden und hochintelligenten Appell plädiert April nun für einen Neuanfang in der fernen Hauptstadt, bietet ihm in einer zu Tränen rührenden Geste gar an, „die Brötchen zu verdienen“, während Frank die Freiheit hätte, seine Vision zu finden – welch „traumhaftes“ Angebot! Es verwundert nicht, daß diese ehrliche Uneigennützigkeit auch das Herz ihres Gatten erobert und man am Folgetag der verblüfften Nachbarschaft den Aufbruch zu neuen Ufern hin verkündet. Je mehr sich Frank allerdings auf diese Idee einläßt und die Verwirklichung eines Ideals in greifbare Nähe rückt, desto klarer wird, daß er in dieser Beziehung nie mehr als ein wankelmütiger Mitläufer, ein Schwärmer ohne tiefe Überzeugung war und die großen Impulse allein von April kamen! Eine tiefe Furcht überkommt ihn vor dem Neuen, eine Angst, die es instinktiv zur fadenscheinigen Sicherheit alter Strukturen drängt. April wiederum, die sich ganz auf die „Metamorphose“ eingelassen hat, spürt immer mehr, wie tief die Kluft zwischen den beiden in Wirklichkeit ist. Da sie jedoch selbst nie den Mut zur Verwirklichung ihrer selbst besessen hat, taumelt sie zerrissen zwischen maßloser Wut und Verzweiflung. Im Schwinden des Paristraumes lauert dunkel die Erkenntnis, daß sie diesem unwürdigen Leben nicht entrinnen können, da ihnen die bleischweren Strukturen, so verhaßt sie auch sind, dumpfe existentielle Sicherheit geben, ihrem eigenen Sein entsprechen …

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