lebenswertes

M. Night Shyamalans „The Village“ – Paradies mit gelber Schutzfarbe

Die Jugendlichen in der Sitzreihe vor mir waren gelangweilt. Die Baseballkappen standen im 90 Grad-Winkel abgeneigt zur Kinoleinwand, eine „Kappe“ sprach mit der anderen. Schließlich überließ die Gruppe den Saal all denen, die sich von dem subtilen Erzählstil M. Night Shyamalans begeistern ließen. Daß die Gruppe das Kino lautstark verließ, verwunderte mich allerdings nicht, versprach die Werbung für „The Village“ doch eher einen Gruselschocker. Erst nach dem Film begriff ich, daß die Werbung ein nicht unwichtiger Bestandteil der Dramatik, Teil der Illusion war! Hier also ein Hinweis, der nicht zu weit vorgreift: Freunde plump inszenierter Filmangst – Finger weg von diesem Streifen. Cineasten, die hohe Filmkunst schätzen, sich aber in Anbetracht der Werbung abgestoßen fühlen – Vorurteile überwinden und zugreifen!

Bryce Dallas Howard: Glanzleistung als blinde Ivy Walker
Das Markenzeichen in den Filmen des US-Ausnahmeregisseurs und Sohns indischer Immigranten M. Night Shyamalan ist wohl am besten mit dem Prinzip der Vexierbilder vergleichbar. Man kann diese Art von Bildern so genau wie möglich betrachten – es bleibt immer nur ein interessantes Bild. Doch weiß man instinktiv, daß ihm ein Geheimnis innewohnt, das sich erst durch das eigene Erleben offenbart. Erst nachdem man sich auf das Bild eingelassen, es fixiert hat, ohne die Augen zu bewegen und darauf vertraut, daß die entscheidende Antwort in den Tiefen des Bildes verborgen ist, erst dann erscheint wie von Geisterhand gezaubert ein dreidimensionales Bild aus dem Bild.

Shyamalans Filme sind genauso aufgebaut. Man bekommt eine an sich schon fantastische Geschichte erzählt, doch insgeheim weiß man auch, daß ein Geheimnis vorhanden ist … dessen Details aber kurioserweise nicht verheimlicht werden. Am Ende seiner Streifen ist es oft nur eine Kleinigkeit, ein Hinweis, welcher dem Film jedoch eine so dramatische Wendung und damit eine derart andere Richtung gibt, daß man das Gefühl hat, man bekomme innerhalb eines Augenblicks eine völlig andere Geschichte erzählt.

Bei alledem ist es wie im „richtigen Leben“ immer der Zuschauer, der durch seine eigene Deutung den Grad der Spannung aufbaut, die Lücken mit eigenen Erfahrungen, eigenen Ängsten ausfüllt. Shyamalan gibt lediglich kurze, beinahe archetypische Impulse (durch Farben, Formen, Symmetrien, Musik), denen zwangsläufig die individuellen Reaktionsmuster der Zuschauer folgen. Für Shyamalan ist dieser Effekt aber mehr als nur ein dramaturgischer Trick, er führt damit den Zuschauer Schritt für Schritt vor das noch eingehüllte Geschenk der Auflösung, spielt mit dessen Neugierde. Der Betrachter, der sich nach einer Antwort seiner Fragen sehnt, enthüllt schließlich das Mysterium und sieht zu seinem Erstaunen in einen Spiegel! Plastischer kann man das menschliche Projektionsproblem – nach dem bekannten Ausspruch Jesu „Du siehst den Splitter in Deines Bruders Auge…“ – nicht verdeutlichen.

Die Spannung, welche das Publikum unmittelbar und unausweichlich ins Geschehen, zum Darsteller zieht, miterleben läßt, erzeugt einen in der heutigen Filmlandschaft seltenen und eigenwilligen Zauber. Dieser Unausweichlichkeit ist man als Zuschauer jedoch niemals bedingungslos ausgeliefert, denn der Regisseur unterminiert das zarte Innenleben und Wertegeflecht seines Publikums nicht mit abstrusen oder gräßlichen Bildern.

Mit einer „Schutzfarbe“ wappnen sich die Dorfbewohner … gegen welche Gefahr?
Die Kulisse, vor der sich „The Village – Das Dorf“, der vierte Film Shyamalans, abspielt, ähnelt einer klassischen Inselsituation.

Anstatt des Wassers stelle man sich einen großen, dichten Wald vor. Die Insel, eine Freifläche inmitten des Waldes, reicht gerade aus, um eine kleine Gemeinde mit dem Notwendigsten zu versorgen. Äußerlich ähneln die Bewohner des Dorfes bekannten Erweckungs- oder Auferstehungsgemeinschaften Amerikas wie zum Beispiel den Shakern, Quäkern oder den Amish. Gleichsam tüchtig und sittlich erscheinen die Menschen in Covington, dem Dorf. Was streßgeplagtem Großstadtpublikum wie eine Idylle erscheint, ist für die Dorfbewohner bei näherem Betrachten ein Alptraum, denn die Gemeinde ist von der Außenwelt abgeschnitten durch eine unheimliche und namenlose Bedrohung, die „Unaussprechlichen“, Wesen, welche die Bewohner nur solange dulden, wie sie die Grenzen des Dorfes nicht überschreiten! Diese Abgeschiedenheit, kombiniert mit der Bedrohungskulisse, gebiert eine paradox erscheinende Mischung aus „hoffnungsvollem Fatalismus“. Man hat sich zwar seinem Schicksal ergeben, ist sich aber auch gleichzeitig bewußt darüber, daß trotz des Einbüßens äußerer Freiheit die Chance besteht, angesichts des Werteverfalls und der Gewalt in den Metropolen, die innere Güte und Unschuld zu bewahren. Die Glaubwürdigkeit und Tiefgründigkeit erzeugt Shyamalan nun, und das ist im Gegensatz zu den vielen oberflächlichen Materialschlachten effektbesessener Regisseure die eigentliche Filmkunst, hauptsächlich durch einen gründlichen Aufbau seiner Charaktere. Hierfür nimmt er sich viel Zeit, Kritiker sagen manchmal: zu viel Zeit. Durch die allgegenwärtige Bedrohungskulisse des umgebenden Waldes entsteht fast unterschwellig eine starke Spannung, für die der Regisseur nicht viele Mittel einsetzen muß, somit hat er reichlich Zeit, sich um das Beziehungsgeflecht im Dorf und seine Hauptcharaktere zu kümmern.

Die Situation gerät außer Kontrolle. Was tun?
Es erübrigt sich zu sagen, daß durch diese intensive Auseinandersetzung mit seinen Darstellern ziemlich jeder hochkarätige Mime Hollywoods sich um eine Rolle in Shyamalans Filmen reißt. Im Falle von „The Village“ sind Joaquin Phoenix, Adrien Brody, William Hurt, Sigourney Weaver und Bryce Dallas Howard, die hier ihre erste große Rolle spielt, mit an Bord. Es muß gesagt sein: Diese hochkarätige Besetzung ist fantastisch! Joaquin Phoenix als schweigsamer Held, mit seinem so entrückten, aber nicht weltfremden Blick, ein gütiger, fast prophetischer William Hurt und endlich eine heitere Sigourney Weaver, die zu guter Letzt die Weltraumhosen der düsteren Science-Fiction-Apokalypse „Aliens“ gegen ein schlichtes Frauenkleid eingetauscht hat. Bryce Dallas Howard alias Ivy Walker jedoch, die 21jährige Debütantin, ist schlicht mit das Beste, was man dieses Jahr in einer weiblichen Hauptrolle zu sehen bekam! Allein die Liebeserklärung Lucius‘ an Ivy, die gestalterisch schon vom Feinsten ist (die Blicklinie des Paares wird getragen von dem nebelbehangenen Horizont), verdeutlicht neben der Klasse der Schauspielerin auch den hohen moralischen Wert, den Shyamalan immer wieder durch tiefsinnige und berührende Dialoge wiedergibt. Diese Szene mit einem Wort zu umschreiben, fällt nicht schwer – Reinheit. Sie überzeugt derart, daß sie ohne den obligatorischen Kuß auskommt und dennoch die Intensität dieser beiden jungen Menschen auf das Schönste und Edelste wiedergibt.Der Filmkomponist James Newton Howard ist zwischenzeitlich fester Bestandteil bei Shyamalans Filmen. Die Mischung aus Bild und Musik ist überraschend, aber vor allem wundervoll und in ihrer Eigenwilligkeit typisch für den unorthodoxen Filmkosmos Shyamalans. Man erwartete im Vorfeld des Films eher atonale Kompositionen, mystische Klangmalereien wie bei „Unbreakable“ oder „Signs“, doch weit gefehlt. Schnelle Geigenläufe, untermalt von langen, getragenen Akkordwechseln der begleitenden Instrumente Harfe, Klavier oder des Geigenensembles setzen in einer Vielzahl von Variationen genau da ein, wo der Zuschauer, konditioniert durch das Gros anderer Filme, es nicht erwartet. Es sind große Filmszenen, in denen die blinde Ivy trotz höchster Not mit ausgestreckter Hand auf Lucius Hunt wartet, sich nicht in den nahe gelegenen Schutzraum begibt und obgleich ihrer Angst fest auf das Kommen ihres Liebsten vertraut. Während ihr im Angesicht der Gefahr Rettung zuteil wird, Zeitlupe und Geige einsetzen, erscheint einem in dieser mitempfundenen Not Howards Musik wie das ersehnte Licht in der Dunkelheit – Ehrfurcht gebietend, siegreich und unüberwindlich, aber dennoch voll Güte und Liebe!

Natürlich ist ein Film dieser Machart vielschichtig, dennoch bleibt er für den einzelnen Zuschauer klar in seinen Aussagen. Er beinhaltet eine der schönsten Liebeserklärungen, ist aber gleichzeitig auch, gemessen an der „Angstpolitik“ der Bush-Regierung, hochaktuell.

Shyamalan meint mit seinen Aussagen immer den Einzelmenschen. Er spricht diesen aber nie direkt an, sondern führt seine Darsteller stellvertretend an die Zerwürfnisse menschlicher Identitäten, in denen vieles nur dem Scheine nach ist und Menschen sich mit einem Wunschbild, mit einer Illusion identifizieren, unterordnen oder sich aus Unwissenheit kraß abgrenzen. Hier, am Ende der Geschichte, verschwimmt die Grenze zwischen Zuschauer und Darsteller auf eigenartige Weise, und man geht mit einer kleinen Selbsterkenntnis aus dem Film.

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