lebenswertes

John Patrick Shanleys „Glaubensfrage“ – Konfessionelle Betriebsblindheit

Spontan möchte man glauben, daß wenigstens am Geburtsort Jesu eine besondere Harmonie herrschen müßte, welche die konträren Sichtweisen der heute dort ansässigen christlichen Glaubensgemeinschaften zweitrangig machen sollte. Wie haarsträubend die Umstände in der Geburtskirche zu Bethlehem allerdings tatsächlich sind, belegen von Zeit zu Zeit Fernseh- und Zeitungsberichte über wüste Massenschlägereien und Despektierlichkeiten zwischen den in dem sakralen Gebäude angesiedelten Geistlichen der drei großen Kirchen!

Auch wenn das Bild von mit Eisenstangen und Besen aufeinanderdreschenden Würdenträgern sehr befremdlich wirkt, so erkennt man in den wutverzerrten Gesichtern der bärtigen Popen im Grunde nur den altbekannten Haß des gemeinen Gläubigen gegenüber dem „Ungläubigen“ wieder, der uns auch tagtäglich in den Nachrichten beim explosiven Zusammenprall verschiedenartiger Konfessionen entgegenkommt. Ständig, so scheint es einem, werden irgendwo irgendwelche starren „heiligen Grenzen“ überschritten, und ständig wird deshalb zum erbarmungslosen Endkampf mobilisiert oder wenigstens boshaft über die Minderwertigkeit und falschen Ansichten Andersgläubiger gespottet, deren Ruf gemordet.

Es ist auffällig, daß an den Grenzlinien religiöser Lehren selbst bei so naheliegenden Schwesterkirchen stets ein latenter Fanatismus zu finden ist, der viele Anhänger eines Glaubens unter bestimmten Umständen schnell ihre moralischen Maximen, wie das in alle Religionen eingewobene Gebot der Nächstenliebe und Toleranz, vergessen läßt. Viele Fallstudien zeigen zudem noch, daß gerade die gebotsgläubigen Menschen die heiligen Regeln, an die sie glauben, selbst am häufigsten übertreten! Keine der in zahlreichen Untersuchungen befragten und beobachteten Gruppen begeht demnach häufiger Ehebruch, lügt, stiehlt und betrügt mehr als diejenigen, welche genau diese Sünden am vehementesten anprangern oder sich ständig vor ebenjenen Verfehlungen erhaben dünken … man möchte eben nur den Splitter in des Bruders Auge sehen. Eine „absolute Moral“ verdirbt offensichtlich den Charakter des Menschen und führt zudem noch zur absoluten Intoleranz! So betrachtet liegt die Frage nahe, ob in Wirklichkeit die religiöse Schule den auf Heil hoffenden Menschen nicht zwangsläufig zu einer Art „Betriebsblindheit“ führt, die dann in das verhängnisvolle Verhaltensmuster namens „Projektion“ mündet und somit das Böse im Windschatten eines einst gut gemeinten Impulses unerkannt Einkehr findet.

Jedwede fundamentalistische Lehre, also jede rein äußerlich praktizierte „paranoide Gebots-Einhaltung“ krankt an dem Problem, daß sie sich nur im Ausblenden eines Teiles der Wahrheit erfahren läßt. Genauer gesagt bezieht eine so ausgerichtete religiöse Gruppe ihre Existenzberechtigung aus einer ganz bestimmten, aus dem Wirken des Religionsstifters abgeleiteten moralischen Haltung, die alles vermeintlich Dagegenstehende herabwürdigt.

Die Worte und Hinweise der Religionsstifter können jedoch nie mehr sein als Wegweiser für den in Reife befindlichen Menschen, nicht mehr als wertvolle Erkenntnisse, die aber für den Bewußtwerdungsprozeß des Geistes zwingend einer Verinnerlichung durch weiteres sachliches Prüfen bedürfen. Dessen ungeachtet läßt man in den heutigen Glaubensklischees die Impulse der Religionsstifter in ihrem „Rohzustand“, erstickt aufkommende Zweifel in Zeremonien und Kulten und betrachtet die dadurch ganz zwangsläufig entstehende Ungewißheit und Unschärfe im religiösen Leben als die süß-saure Essenz des Glaubens, die es gegen jegliche Kritik über die Zeit zu retten und dem Schöpfer dereinst als Treuebeweis zu Füßen zu legen gilt!

Mit dem 2009 ausgestrahlten und in fünf Kategorien für den Oscar nominierten Streifen „Glaubensfrage“ bringt Regisseur John Patrick Shanley einen packenden Diskurs über den Wurzelgrund des religiösen Fanatismus in die Kinos, der zum einen von scharfsinnigen Dialogen durchzogen ist und zum anderen durch die starke schauspielerische Leistung des Starensembles Meryl Streep, Philip Seymour Hoffman und der fabelhaften Amy Adams zu faszinieren weiß.

„Doubt: A Parable“ (Zweifel), wie der besser passende englische Originaltitel des Films lautet, wurde ursprünglich im Jahre 2003 von Shanley vor dem Hintergrund der in den USA aufkommenden Mißbrauchsskandale durch katholische Priester als Bühnenstück konzipiert und in der Folgezeit derart erfolgreich aufgeführt, daß die parabelartige Inszenierung drei Jahre später schließlich sogar mit dem renommierten Pulitzer-Preis für Theater bedacht wurde. Was lag da näher, als dieses lehrreiche Psychogramm fundamentalistischer Denkweise auch auf Zelluloid zu bannen und einem größeren Publikum zugängig zu machen.

Wie grundverschieden Schwester Aloysius Beauvier (Meryl Streep), ihres Zeichens Direktorin der im New Yorker Stadtteil Bronx gelegenen katholischen Schule St. Nicholas, und der ihr übergeordnete Gemeindepfarrer und Sportlehrer, Vater Brendan Flynn (Philip Seymour Hoffman) sind, verdeutlicht schon die erste Szene des Films, die während der sonntäglichen Andacht spielt, mit einer fast beiläufigen Leichtigkeit. Während die Predigt des Priesters nämlich auf einen offensichtlich liberalen und weltoffenen Menschenfreund schließen läßt, bildet der erste wortkarge Auftritt Schwester Beauviers mit ihren strengen Gesichtszügen und bohrenden Blicken genau das Gegenteil ab:

einen hartherzigen Menschen, der die Disziplin unter den Schülern und auch bei den Ordensschwestern durch Strafen und ein Regiment des Tadels aufrechterhält. Das Vorbild zu dieser stark polarisierenden und von Meryl Streep eindrucksvoll dargestellten Figur fand der ebenfalls an einer katholischen Schule unterrichtete Filmemacher Shanley übrigens in seiner eigenen Lehrerin aus der ersten Klasse!

Meryl Streep
Im Gegensatz zu Schwester Beauvier nimmt sich Pfarrer Flynn viel Zeit für seine Schützlinge, hilft den Kindern bei ihren Problemen und versucht sie mit Geduld, Weisheit und einer Prise Humor auf das Leben vorzubereiten. Besonders viel Unterstützung erfährt hierbei der in der Gunst des Priesters ganz oben stehende Meßdiener Donald Miller, der erste farbige Schüler, der in der Post-Kennedy-Ära 1964 St. Nicholas besuchen darf und sich ganz nebenbei auch für den Beruf des Priesters interessiert.

Hier beginnen nun auch die Schwierigkeiten für den beliebten Pfarrer, denn neben seinen reformistisch angehauchten Predigten, seinen etwas zu langen Fingernägeln, seinem Zigarettenkonsum und dem Gebrauch mehrerer Würfel Zucker im Tee stört Schwester Beauvier sich auch am allzu herzlichen Umgang ihres Vorgesetzten mit den Schülern. Insgeheim ist Vater Flynn der Oberin jedoch schon seit seiner Versetzung in die Gemeinde ein dem Katholizismus nicht würdiges Übel.

Dieser Argwohn verwundert nicht, treffen doch mit Lynn und Beauvier Lebenslust und Genußfreude auf Selbstzucht und -kasteiung – eine teilweise sehr amüsante Verhaltensstudie, die in vielen Sequenzen fein ausgeleuchtet wird. Meryl Streep schafft es hierbei, die in der Ordenstracht blockierte Körpersprache durch die wenigen Quadratzentimeter unbedeckten Gesichtes vollkommen zu ergänzen und eine Intensität in ihre gestrenge Figur zu bringen, die wahrscheinlich nur wenigen Schauspielerinnen selbst mit ganzem Körpereinsatz gelingen würde!

Da die konservative Direktorin Zweifel an der philanthropischen Gesinnung des Pfarrers hat und hinter den edlen Gesten eher ein dunkles Spiel vermutet, setzt sie zu Observationszwecken schließlich die naive, aber gutherzige Schwester James (Amy Adams) auf den Priester an.

Tatsächlich macht Schwester James in den darauffolgenden Tagen zwei merkwürdige Beobachtungen, die den Geistlichen bald in den schrecklichen Verdacht des Kindesmißbrauches an Donald Miller bringen! Anfangs vermag Pater Flynn zwar die gegen ihn erhobenen Vorwürfe noch glaubwürdig zu entkräften, doch schwelt das Mißtrauen der Direktorin gegenüber dem Vorgesetzten weiter und facht bald einen offenen Disput an, der in einer bemerkenswerten Wucht tief in die Gehirnwindungen eines fanatisierten Menschen führt.

Dem Publikum wird bis zum Ende des Streifens nicht klar sein, ob der nette Pfarrer sich wirklich etwas zuschulden hat kommen lassen oder nicht, da es außer vagen Verdächtigungen und dem offen ausgebreiteten Gedankenkino Schwester Beauviers keine substantiellen Beweise gibt. Auf diese Weise verfrachtet der Regisseur den Zweifel direkt ins Herz des Betrachters und katapultiert ihn als unsichtbaren dritten Mann ins Rektorenzimmer, mitten zwischen die messerscharfen, kreuzverhörartigen Diskussionen der Protagonisten. Wird man, wie die Oberin, in krankhaften, aus Lieblosigkeit entstandenen Zweifel verfallen oder … wird man Glauben schenken?

Offensichtlich bringt jede noch so tiefgründige und erschöpfende Antwort des Beschuldigten zwei neue, in Fragen gehüllte Anschuldigungen zurück. Längst hat die inquisitorische Hatz gegen Pfarrer Lynn begonnen, in der sich abzeichnet, daß der Geistliche schon schuldig war, als er vor Jahren in die Gemeinde kam …

 

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