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Herr der Ringe – Entscheidungskampf gegen das Dunkel

Irgendwie skurril war das seinerzeit für uns im „alten Europa“ schon, als wir einen mehr oder weniger demokratisch gewählten Repräsentanten eines demokratischen „Musterlandes“ vom Kampf des Guten gegen das Böse sprechen hörten. Die Vorstellung vom archaischen Endkampf der Heerscharen des Dunkels gegen die Heerscharen des Lichts schien quasi über Nacht eine Renaissance erfahren zu haben. Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 wurde diese uralte Vorstellung des Endgerichtes im westlichen Abendland plötzlich wieder salonfähig, und wie es die Ironie will, startete im selben Jahr dieser verbalen Entgleisungen die beeindruckendste Visualisierung einer Heilsgeschichte biblischen Ausmaßes ihren Siegeszug durch die Kinos der Welt: die Trilogie „Der Herr der Ringe“. Doch fehlte man weit, wenn man daraus den Schluß zöge, dieser durchaus martialische Streifen würde sich wunderbar in die Moral eines „Kriegspräsidenten“, wie sich das Oberhaupt der Amerikaner selbst tituliert, einspannen lassen. Denn überraschenderweise ergriff der Dreiteiler die Zuschauer auf eine völlig andere, gemütvolle Art, blieb eigentümlich unberührt von jeglicher Brisanz und politischen Parallelen unserer Gegenwart. Mehr noch: In den folgenden drei Jahren sah man, wie ein Millionenpublikum jeweils zur Weihnachtszeit in einer paradox anmutenden „euphorischen Endzeitstimmung“ mit „Happyendgarantie“ die Kinos stürmte und jegliche Pein an den Kassen über sich ergehen ließ, um nur möglichst früh an eine Karte zu gelangen!

„Der Herr der Ringe“ galt bereits vor seiner ersten Ausstrahlung als ein Film, der jegliche Dimensionen des bis dahin cineastisch Dargebotenen sprengen sollte. Nie gab es einen teureren, nie einen optisch ausgefeilteren, opulenteren Streifen, selbst das oft vernachlässigte Drehbuch war hier in seiner Gliederung und Dramatik ein brillantes Meisterwerk, obgleich der Tatsache, daß die ursprüngliche Romanvorlage des gebürtigen südafrikanischen Linguistikprofessors John Ronald Reuel Tolkien lange Zeit als nicht verfilmbar galt. Daß ein so unbekannter Drehbuchautor und Regisseur wie Peter Jackson sich der Verfilmung dieses Monumentalwerkes verschrieb, zudem noch mit einem neuseeländischen Produktionsstudio, dessen Filmografie und Infrastruktur dermaßen unbedeutend und winzig war, machte die Sensation des letztlich mit 17 Oskars dotierten Epos perfekt. Dabei schienen die Aufgaben, die Jackson bevorstanden, unüberwindbar, mußte er doch die literarischen Vorgaben eines gigantischen und minutiös beschriebenen Mikrokosmos auf ein filmisches Maß reduzieren, ohne einerseits die riesige Fangemeinde, die bis dato nur das Buch kannte, zu verschrecken, und ohne andererseits dem Novizen in Sachen „Mittelerde“ (der historisch anmutende Schauplatz des Abenteuers) einen zu langatmigen und ausufernden Film zu präsentieren. Hinzu kam die bange Frage, welche Bilder er der Sprachkraft Tolkiens überhaupt entgegenbringen konnte, ohne in irgendwelche gängigen Klischees zu verfallen.

Jacksons Antwort auf diese Herausforderungen scheint zwar in erster Linie ein Augen- und Ohrenschmaus bisher unerreichter Güte zu sein; über diese sinnlichen Juwelen hinaus liegt aber das eigentliche Geheimnis des Films in seinem märchenhaften Ausdruck moralischer Zusammenhänge! Durch die einfache Unterscheidung des Guten und Bösen entsteht eine Ordnung, die Kontinuität garantiert und der Seele verläßliche Sicherheit tugendhafter Werte vermittelt. Im Falle des Herrn der Ringe schüttelt Jackson seinem Film zudem jedes „Kinderstuben-Image“ ab und zelebriert sein Lichtspiel ernsthaft und zweifelsfrei wie ein klassisches Drama im Stile eines Hamlet oder Faust.

Im Mittelpunkt der drei Teile „Die Gefährten“, „Die zwei Türme“, „Die Rückkehr des Königs“ steht, wie es der Titel schon sagt, ein ganz besonderer Ring, der seinem Besitzer, einem düsteren Herrscher Namens Sauron, unermeßliche Kräfte verleiht. Wie die meisten herrschsüchtigen Bösewichte, so hat auch Sauron einen ziemlich üblen Hang: er trachtet nach der Unterdrückung der freien Völker und der Etablierung seines verachtenden Prinzips. Bereits am Anfang des ersten Teils der Trilogie kommt es deshalb zur Entscheidungsschlacht, in der es einer Allianz aus Menschen und „Elben“ gelingt, den dunklen Herrscher so zu verletzten, daß er seinen Ring verliert und fortan als körperloser Geist sein Unwesen treibt. Doch auch in dieser feinstofflichen Form schwindet die Kraft Saurons nicht, solange der Ring noch existiert, und so schart er nun im Geheimen eine weitaus größere Armee um sich.
Es gibt jedoch auch eine Achillesferse dieses übermächtigen Feindes, seine existentielle Bindung an das magische Schmuckstück, das sich seit jener Schlacht auf einer Odyssee von einem verblendeten Gemüt zum nächsten befindet und jeden Träger gnadenlos ins Verderben stürzt … bis er schließlich in die Hände eines „Hobbits“ (ein unscheinbares, zwergenhaftes Volk mit großem Herzen) gerät. Gelänge es nun, den Ring zu zerstören, dann wäre dies auch Saurons Ende. Fatalerweise vermag aber nur die Kraft eines bestimmten Vulkanes den Ring zu zerstören. Es erübrigt sich fast zu sagen, daß dieser spezielle Berg sich quasi vor der „Haustüre“ Saurons, tief im Feindesland befindet und somit ein lebensgefährliches Abenteuer bedingt! Die Zeit scheint indes auf der Seite des dunklen Herrschers zu sein, denn Mittelerde ist Dank der Zwietracht des Ringes in einer desolaten Lage. Mißtrauen und Uneinigkeit vergiften die Herzen der wenigen Akteure, die sich als potentielle Retter eignen würden … es scheint nur eine Frage der Zeit, bis der Ring den Weg zu seinem dunklen Herren findet. Trotz dieser widrigen Lage gelingt es den „freien Völkern“, eine „Eingreiftruppe“ aus Elben, Zwergen, Menschen, Hobbits und einem Zauberer zu formen, „die Gefährten“, um fortan den aussichtslos erscheinenden Kampf gegen das Böse aufzunehmen.

Was Jackson in dreimal dreieinhalb Stunden Kinozeit „gießt“, ist ein epochales und maßstabsetzendes Konglomerat aus grandios epischen Bildern mit durchschlagender Symbolkraft, eine an den Bibelstil des 16. Jahrhunderts angelehnte virtuose Sprachkunst, die sich in den Dialogen des edlen Elbenvolkes aufs Schönste zeigt, und die ebenso gewaltigen wie ergreifend romantischen Hymnen der Komponierlegende Howard Shore. Hinzu gesellen sich hervorragende schauspielerische Leistungen wie die des englischen Theatermimen Ian McKellen in der Rolle des Zauberers Gandalf oder Viggo Mortensen als König Aragorn, welche sich trotz ihres Könnens stets der Geschichte unterordnen und so ein Werk dieses Kalibers erst möglich machen.

Das technische Niveau der Filmtrilogie wird klar, wenn man bedenkt, daß das am Computer erschaffene und animierte Geschöpf „Gollum“ in seiner schaurig-faszinierenden schizophrenen Art für den Oskar als bester „Nebendarsteller“ nominiert wurde (eigentlich der Schauspieler Andy Serkis, dessen Mimik dann animationstechnisch in Gollum verwandelt wurde). Neben alledem bezieht der Streifen seine Tiefe und Authentizität durch den unverschämten Detailreichtum der Requisiten, wenn man die Gebrauchsgegenstände einer möglichen Parallelwelt überhaupt so nennen darf! Die Szenerie lebt, atmet, wirkt benutzt und nie steril. Die fulminanten Massenszenen jedoch und die gloriosen Schlachten, bei denen von Teil zu Teil crescendoartig immer mehr Akteure integriert wurden, treiben dem Zuschauer anhand der schieren Größe des Geschehens eine Gänsehaut nach der anderen über den verschwitzten Rücken!

Es mutet wie das reale und Ehrfurcht gebietende Abbild einer tiefen Sehnsucht an, wenn der König Rohans einer bis an den Horizont reichenden Reiterschar mit gezücktem Schwert und Kampfesruf voranreitet, während Tausende „helle“ Ritter in ihren Rüstungen aufgerissenen Auges voll Entschlossenheit und Siegesmut folgen und einer Übermacht düsterer „Orks“ entgegenpreschen, um im Scheitelpunkt mit brachialer Gewalt reißverschlußartig ineinander zu „krachen“ … hier bannt der Regisseur wahrhaftig „Lichtbilder“ auf das Celluloid, die auch Hartgesottene zu Tränen rühren! Die stillen Momente, wie die berührende Geschichte des Königs Aragorn und der Elbin Arwen, erinnern uns indes an die alles überbrückende Kraft der Liebe. Beim Anblick der beiden fühlt man für einen Moment diesen Zauber wieder, der einem durch die rauhen Stürme der materiellen Welt, dem Despoten des Verstandes oder den Metamorphosen der Seele so oft abhanden kommt!

Wenn am Ende der meisterhaften Filmtrilogie das Gute triumphiert und eine neue Zeit beginnt, dann ist auch deutlich geworden, welcher Weg allein zum Ziel führt und warum dieses Werk sich beispielsweise nicht vor den subjektiven Dualismus eines Kriegspräsidenten spannen läßt: Das Böse stellt für Jackson und Tolkien genau jene Ignoranz dar, die subjektive Erfahrungswerte als „objektiv wahr“ festlegt und gewaltsam über andere stülpt. Echte Helden dagegen, das lehren uns die „Gefährten“, fechten den Kampf gegen das Schlechte und Rohe vor allem in sich selbst aus!

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