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Frank Darabonts „Die Verurteilten“ – Grelles Licht nach langer Tunnelfahrt

Wer die größte und renommierteste Internet-Filmdatenbank „imdb.com“ nach den besten Filmen aller Zeiten durchforstet, wird auf einem sensationellen zweiten Platz zwischen Meisterwerken wie „Die sieben Samurai“, „Schindlers Liste“ oder „Der Herr der Ringe“ einen Film namens „The Shawshenk Redemption“ finden – einen Titel, den die meisten wohl noch nie gehört haben. „Die Verurteilten“, so der deutsche Name, war zwar an den Kinokassen trotz seiner siebenfachen Oscarnominierung nicht „die große Nummer“, was aber die Zahlen der internationalen Videotheken angeht, eines der meist verliehenen Videos überhaupt!

Leider ging 1994 keiner der begehrten Oscars an „Die Verurteilten“, das vereitelte damals das alles dominierende „Separatistendrama“ „Braveheart“ von und mit Mel Gibson. In der Erinnerung vieler Cineasten jedoch hinterließ Frank Darabonts ergreifendes Gefängnisepos eine deutliche Spur, die dem Betrachter zu einem wunderbaren Ausblick auf das am Firmament der Werte leuchtende Dreigestirn verhalf – Freundschaft, Hoffnung und Sehnsucht!

Man mag es nicht glauben, daß dieser sensible Streifen die Adaption einer Kurzgeschichte des amerikanischen Erfolgsautors Stephen King sein soll. Unglaublich deswegen, weil es nur wenige Verfilmungen des als Nachfolger Edgar Allan Poes titulierten King über eine, wenn auch subtile, Grusel- und Mystikschwelle herüberschafften, während der Film „Die Verurteilten“ sich im Gegensatz dazu mit realen Sehnsüchten des aufwärts strebenden Geistes beschäftigt. Es ist wohl maßgeblich der Handschrift des Drehbuchautors und Regisseurs Frank Darabont zu danken, daß dieser Film den ihm gebührenden Rahmen bekam.

Während Shyamalans „The Village“ die Zuschauer gezielt mit falschen Erwartungen aus der Reserve lockt und so zu Erkenntnisprozessen führt, bekommt man bei Darabont offensichtlich genau das geboten, was das Kinoplakat verspricht – die Darstellung des menschenverachtenden Alltags in amerikanischen Großgefängnissen Ende der 40er Jahre, mit seiner noch heute gültigen Vergeltungsmoral … aber nur dem Scheine nach! Wie bei vielen anderen Meisterwerken bemerkt der Betrachter auch hier plötzlich Identifikationssorgen, den feinen Unterton der Empfindung, jenen eigenartigen Rhythmus des Herzens und eine innere Präsenz, die trotz einer Länge von über 140 Minuten stete und enge Begleiter bleiben, denn auch bei diesem Streifen ist das Publikum der Auswirkung einer zweiten, symbolischen Sinnebene ausgesetzt, die sich paradoxerweise der grausamen Gefängniskulisse als Geburtshelfer von hohen menschlichen Werten bedient.

Ein perfider Protagonist: Direktor Samuel Norton.
„Die Verurteilten“ erzählt die Geschichte des Bankers Andy Dufresne (dargestellt vom brillanten Tim Robbins), der wegen des Mordes an seiner Frau und deren Liebhaber zu zweimal lebenslänglicher Haft verurteilt wird. Von Beginn an verwickelt der Regisseur den Zuschauer in einen Zwiespalt, denn der Banker scheint nicht der typische „Filmmörder“ zu sein. Trickreich stellt er den potentiellen Delinquenten im Gerichtssaal durch Rückblenden der Tatnacht in ein schlechtes Licht und besiegelt dadurch beinahe schon dessen Schuld, wäre da nicht die rätselhafte, tragische, aber auch grundehrliche Erscheinung Dufresnes. Mit diesem meisterhaft inszenierten Prolog und der dadurch entstandenen Unsicherheit in der Bewertung der Hauptfigur inhaftiert Darabont Dufresne, befördert so aber auch den Zuschauer voller Neugierde in das Gefängnis des Bundesstaates Maine, nach „Shawshenk“, im übrigen eine echte ausgediente Vollzugsanstalt, welche kurz vor dem Abriß noch für den Film präpariert wurde.

Shawshenk zeigt sich von der ersten Szene an als grauer Gefängniskoloß, der Hoffnungslosigkeit aufkommen läßt, in dem brutale Vollzugsbeamte vordergründig ihren Dienst tun, in Wirklichkeit aber mehr ihre gewalttätige Ader im Schatten des staatlichen Machtmonopols an Entmündigten ausleben. Doch die Aufseher sind nur die Erfüllungsgehilfen des bigotten, Bibelstellen zitierenden, im Abgrund seiner Seele jedoch völlig wertefreien Direktors Samuel Norton, der an diesem Ort nach seinem Gutdünken regiert und sich recht schnell als perfider Protagonist etabliert. Gerade hier, in diesem unmenschlichen und gewalttätigen Milieu, baut Darabont nun eine bewegende Freundschaft zwischen dem Ex-Banker und dem Häftling „Red“ auf, der von dem fabelhaften Morgan Freeman verkörpert wird und im Gespann mit Robbins einer der stärksten Pfeiler des Films ist. Red ist es von nun an auch, der seine Erlebnisse mit rauher Schicksalsstimme erzählt und so die Möglichkeiten des Regisseurs erweitert.

Während sich die restlichen Häftlinge ihren Umständen beugen, Hoffnung als etwas Gefährliches ansehen und im rohen und stumpfen Zustand stagnieren, zeichnet Darabont Dufresne immer deutlicher als jenen noblen Charakter, den die Zuschauer erahnten und erhofften, und für den sie bereit waren, Shawshenk überhaupt zu betreten. Auch wenn Red noch in scheuer Opposition zu Dufresne steht und anfänglich nichts mit seiner geheimnisvollen Art anzufangen weiß, die, wie sich später herausstellen soll, aus Andys tatsächlicher Unschuld herrührt – die Freundschaft bringt Red in seinen erstarrten Ansichten zum Nachdenken.

Andy und Red – wahre Freundschaft im Schatten des Gefängniskolosses.
In humorvollen Szenen beginnt nun, begünstigt durch das Finanzwissen Dufresnes, dessen „Aufstieg“ in der Gunst der Häftlinge und der Aufseher. Insbesondere der Direktor der Anstalt entwickelt viel kriminelle Phantasie, um den Ex-Banker für ein geniales Netzwerk aus Steuerhinterziehungen und Korruptionspraktiken einzusetzen. Doch Dufresne enttäuscht die aufkeimende Hoffnung des Zuschauers nicht, bleibt bis zum Schluß der reine Held und denkt bei aller vermeintlichen Bevorzugung immer an das, was wahre Freude schafft – die Freude der Mitmenschen! So gründet er mit unglaublicher Beharrlichkeit eine Gefängnisbibliothek und verhilft Häftlingen zu ihren Schulabschlüssen.

In einer der eindrucksvollsten Stellen des Films schließt sich Dufresne in das Sekretariat des Gefängnisses ein und beschallt die Lautsprecher der Anstalt mit einer Aufnahme des Mozartklassikers „Die Hochzeit des Figaro“, die zum Ärger des Direktors erst nach der Erstürmung des Zimmers abgestellt werden kann! Nach Spannen, in der die kunstvolle Kameraführung Roger Deakins’ mit ihren „ewig langsamen“ Kamerafahrten zähe, bedrückende Gefängniszeit visualisierte, ungewöhnlich lang andauernde Nahaufnahmen Verzweiflung und Ohnmacht veranschaulichten, wird der Betrachter durch die zarte, erhabene Musik Mozarts geradezu aus den Sesseln gerissen! In wunderbaren Bildern zeigt Darabont die Ergriffenheit und das Erstaunen der Verurteilten über eine nicht geahnte oder längst vergessene Dimension des Seins, während die Häftlinge plötzlich stehenbleiben, ungläubig die Musik wahrnehmen und dabei langsam, instinktiv wie Blütenkelche im ersten Morgenlicht die Köpfe in Richtung eines stahlblauen Himmels heben. Bei diesem Anblick bemerkt man berührt, wie sehr einem „das Licht“ bisher gefehlt hat, und es offenbart sich in der Musik ein Geheimnis: Freiheit adelt nur jene, die das Gefüge hoher Werte respektieren und kultivieren.

Endlich frei!
Schließlich gelingt Dufresne zur großen Überraschung die Flucht aus Shawshenk, wobei er in einem Schachzug den Direktor mitsamt den brutalen Aufsehern auffliegen läßt. Red erhält nach vierzig Jahren Haft seine Begnadigung. Er verläßt Shawshenk jedoch mit einem rätselhaften Hinweis Dufresnes, der ihm fortan keinen Frieden mehr läßt. Was Darabont nun im „Grande Finale“ seines Films präsentiert, ist, um es kurz zu machen, – grandios! Die Entdeckungsreise Reds zum Hinweis des Freundes ist in jeder Einstellung wie das Erklingen einer versöhnenden Melodie auf dem Instrument „Sehnsucht“. Die Szenerie ähnelt einem Vorgarten Edens: Hochsommer, reife Kornfelder, Bäume und herrliche Wiesen, gemalt in weiten Landschaften, menschenleer, durchzogen von vereinzelten kleinen Steinwällen … einfühlsam stützt Thomas Newmans Musik das Geschehen, während die Kamera epische Weiten auf Celluloid bannt. Die wild wuchernde Wiese, die sich sanft an einen Hügel anschmiegt, wird am Kamm von einem majestätischen Baum begrenzt, der wie ein Ritter Kostbares bewacht – er wacht über das Aufflammen des Lebensfunkens in Red! Der Erzähler, der den ganzen Film über unbeeindruckt die Welt erklärte, verstummt nun, denn hier beginnt endlich seine Geschichte, sein Ausbruch aus der inneren Haft. Reds kindlicher Wunsch nach einem Wiedersehen weckt tiefste Sehnsüchte, ist Sinnbild des ewigen menschlichen Strebens nach Heimat.

Red auf der Suche nach einem rätselhaften Hinweis seines Freundes.
Darabonts Film ist bis zuletzt ein meisterliches Spiel auf der Klaviatur starker Kontraste, deren erkenntnisreiche Bilder zwar wie grelles Licht nach einer Fahrt durch einen langen Tunnel schmerzen, jedoch auch bei jeder dieser „Ausfahrten“ die Möglichkeit bieten, Werte zu sensibilisieren, die uns – bei aller äußerlichen Freiheit – oft schon zur Banalität geworden sind.

 

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