lebenswertes

Erwin Wagenhofers „Let’s make money“ – Investment-Gurus, Hitmen und Schakale

Finanzprobleme sind Realitätsprobleme! Instinktiv leuchtet dieser Satz zwar schnell ein, doch stellt sich die Frage, welche Teile der Realität wir nach jener Weisheit wohl ausblenden. Wie ignorant oder konditioniert muß man zudem sein, wenn man angesichts der dramatischen Weltfinanzlage und der Tatsache, daß die allermeisten Menschen in monetären, also existentiellen Schwierigkeiten stecken, die Ursachen dieser finanziellen Realität nicht zu benennen weiß? Die „System-Blindheit“ kann zu einem guten Teil nur mit eigenen Versäumnissen, also mangelndem Selbstbewußtsein erklärt werden. Wer sich und seinen unveräußerbaren Wert nicht ergründet, sich im Gegenteil mit einem unscharfen Selbstbild und einem statischen Rollenverhalten auf Dauer abfindet, blendet willentlich einen Teil der ihm gebotenen Chancen, sprich: das Leben aus, nur um in altgewohnten Mustern Sicherheit zu erfahren. Er lebt in diesem „lernresistenten Reflex“ letztlich laufend unter oder über seine Verhältnisse, verkauft sich selbst unter Wert und kultiviert dabei bloß die Opferrolle des entmündigten „Proletariers“, der im Hinblick auf sein starres Schicksal resigniert gen Politik oder Hochfinanz verweist. Wo bleibt in solch einer Gesinnung die Eigenverantwortung?

Andererseits stellt sich die berechtigte Frage, wieso man in unserem Wertesystem bei aller Eigenreflexion und der nötigen Verantwortung permanent massiven Existenzängsten ausgesetzt ist? Ohne Verschwörungstheorien das Wort zu reden, drängt sich beim Anblick der heutigen Misere fast der Verdacht auf, daß ein verborgener Akteur dieses Gefüges von der allgemeinen existentiellen Verunsicherung und dem daraus resultierenden Herdenverhalten mit seinen gewaltigen Schulden- und Konsumstampeden profitiert … während der andere Protagonist, die Politik, angesichts horrender Schulden zu wenig Spielraum hat, die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen menschenwürdig zu gestalten!

Die unheilvolle Entwicklung in Richtung eines entpolitisierten, also beziehungslosen Bürgers, der seine Lebensplanung im Ödland zwischen Medienpropaganda und Werbeparolen zu verwirklichen sucht, ist oft schon die sinnlose Grundlage im Streben des heutigen Menschen! Für das Konsumsystem und die Strippenzieher im Hintergrund ist dieser Retortenmensch jedoch ein wichtiger, weil berechenbarer Teil des Kalküls!

Tatsächlich gesellt sich der Finanzrealität ein weiterer beängstigender Teilnehmer hinzu, der in seiner systemimmanenten Gier mittlerweile eine fatale Eigendynamik entwickelt hat: die globale Geldwirtschaft mit ihrem Bankensystem! Die Besitzer der Welt sind nun einmal die Großbanken, die durch die berühmt-berüchtigte Servicepauschale namens Zins eine immense Macht in jeglichen Bereichen des Lebens erlangt haben. Bei ihnen stehen der deutsche Staat und seine Bürger beispielsweise laut aktuellem Stand der Schuldenuhr mit etwa 1.700 Milliarden Euro in der Kreide! Die jährliche Neuverschuldung des Staates reicht nach diesem Kontostand gerade für die Deckung des anfallenden „ewigen“ Zinses. Anders ausgedrückt stehen somit Verbindlichkeiten im Raum, die selbst durch die jahrzehntelange Arbeit einer prosperierenden Volkswirtschaft kaum zu bewältigen sind! Was macht die Bank nur mit all diesem Geld?

Um die Antwort vorwegzunehmen: sie „macht“ noch mehr Geld! Genau hier ergründet sich auch der treffende Titel des Dokumentarfilms „Let’s make money“ – „Laßt uns Geld machen“. Wie schon zuvor mit „We feed the world“, in dem die Degradierung der Nahrung zur profitablen Ware gezeigt wurde, schafft es der österreichische Filmemacher Erwin Wagenhofer auch dieses Mal, zur richtigen Zeit den richtigen Film zu präsentieren. Als der Streifen nämlich Anfang 2009 nach vier Jahren Dreharbeit in den Kinos anlief, um die Hintergründe und Konsequenzen des global agierenden Geldwesens aufzuzeigen, dämmerte es der Welt gerade erst, daß sie sich durch „eine sogenannte Finanzkrise“ überhaupt in Problemen befand!

Ein Leben in Armut und Schulden – ein wohlkalkulierter Teufelskreis!
Wagenhofers Filmsprache ist auch in „Let’s make money“ gewohnt sachlich und unspektakulär. Keine Begleitmusik, keine Moderatorenstimme stören die Bilder, statt dessen spricht nur der Interviewte in langen standbildhaften Einstellungen, die mit (anstrengenden) Untertiteln versehen sind, oder zu stummen, kommentarlosen Nahaufnahmen, die aber sehr eindrucksvoll die Gedanken des Gefilmten untermalen. Natürlich gibt es unterhaltsamere Dokumentarfilme, wie US-amerikanische Produktionen von Michael Moore, Morgan Spurlock und nicht zuletzt Al Gore es zeigen. Europäische Dokumentarfilme indes verzichten größtenteils auf polarisierende Moderatoren oder Kommentare, da die zwangsläufig entstehende Ablenkung oder Manipulation des Arrangements nicht im Sinne dieser Schule wäre.

Let’s make money führt den Zuschauer weg von den Schlagworten eurozentristischer Blickweisen, hin zu der teils bitteren Wahrheit vor Ort. Angesichts der katastrophalen Umstände in der „Dritten Welt“ steht schnell die Frage im Raum, wieso es in jenen Regionen ständig zu denselben ökonomischen Schwierigkeiten kommt. Zur Verdeutlichung dieses Phänomens werden unter anderem die Baumwollpflücker in Burkina Faso gezeigt, die trotz schweißtreibender Knochenarbeit nur auf einen Jahresverdienst von 50 Dollar kommen und nach Jahrzehnten des Monokulturanbaus erodierten und verseuchten Heimatboden hinterlassen. Bei allen aufgeführten Beispielen ist klar ersichtlich, daß den Arbeitern trotz üppiger Rohstofflage und Fleiß am Ende weniger verbleibt als vor dem „Engagement“ westlicher Firmen! Der österreichische Investor Mirko Kovats schwärmt gleichzeitig von Indien als einem Land mit geringen Umwelt- und Arbeitsschutzstandards, lobt die billigen Arbeitskräfte. Kovats, dessen typisch neoliberale Gedanken im Film von Bildern eines indischen Slums konterkariert werden, offenbart hier klar die renditeheischende Eigensucht des westlichen Systems. Er bleibt stets der Gewinner in diesem ungleichen Geschäft, da Investoren wie er von aufstrebenden Regierungen mit Subventionen oder Steuererleichterungen hofiert werden. Die Rechnung bezahlt freilich, und hier beginnt der Teufelskreis, die bitterarme Bevölkerung, da diese Beihilfen durch Steuergelder finanziert sind. Die „Dritte Welt“ finanziert, geblendet durch die Magie des Geldes und infolge des Sühnezwanges des Zinssystems, die reichen Staaten der Welt – Geldtransfer bizarr!

Man mag über die Gesinnung des Großindustriellen Kovats, des Investment-Gurus Mobius, oder wie die Schergen des Raubtierkapitalismus mit ihren eigensüchtigen Denkweisen noch so heißen, die bei Wagenhofer zu Wort kommen, den Kopf schütteln, am gruseligsten wird es eindeutig, wenn der „Hitman“, der „Wirtschaftskiller“ der CIA, John Perkins, sein Wissen preisgibt. Spätestens an dieser Stelle weiß der Zuschauer, daß er in einer schlechten Welt lebt und er leider ein Teil dieser gräßlichen Maschinerie ist!

Was der smarte Lockenkopf so locker wie ein gutes Kochrezept weitergibt, ist hochbrisant. Die Hitmen arbeiten, so Perkins im O-Ton, im Grunde wie die Auftragsmörder der Mafia, nur eben im großen Stil. Ihre Mission ist es, rohstoffreiche Regierungen zu korrumpieren und sie dadurch in die Schuldenfalle zu locken. Man sucht also ein rohstoffreiches Land und organisiert für die dortige Regierung einen gigantischen Kredit über die Weltbank. Das Geld kommt jedoch nie im Land an, sondern fließt zur Finanzierung der angesetzten Infrastrukturprojekte sofort in große ausländische Firmen, die sich dort schnell mit ihren Industrieanlagen einnisten und die Rohstoffe abgreifen. So profitiert nur eine kleine, gut „geschmierte“ Elite im Land, während die Öffentlichkeit die immense Schuldenlast zu tragen hat und unter dieser Bürde zusammenbrechen muß! Infolge des Schuldenberges fällt der Abnahmepreis der Rohstoffe, Schulden und Inflationsrate steigen weiter, die Bevölkerung verarmt. Wagenhofer gewährt eine kurze „Verdauungspause“. Blick aufs Meer. Stille. Diese Pause ist notwendig, denn das dicke Ende kommt bei den freimütigen Ausführungen noch! Wenn die Wirtschaftskiller es nämlich nicht schaffen, eine Regierung zu korrumpieren, kommen die „Schakale“ ins Spiel, Menschen, die darauf aus sind, Regierungen zu stürzen oder deren Führer gegebenenfalls zu ermorden. Wenn diese Maßnahmen auch nicht fruchten, so Perkins, werden als letzte, weil teuerste Option (!) die Streitkräfte entsandt, so wie im Falle des Iraks – es gibt einfach kein Entrinnen!

Das heutige Geldsystem bindet die eine Hälfte der Welt im Teufelskreis des Konsumzwanges, während es die andere Hälfte durch eine perfide Schuldenfalle in Hunger und Armut versklavt. Zurück bleiben immer verödete Kulturräume … Wer die ganze Dimension der weltwirtschaftlichen Realität sehen möchte, der darf gegenüber der Situation seiner Mitmenschen auf dieser Erde nicht in „Blindheit“ verharren, er muß sich zum Hinschauen zwingen. Denn angesichts der Ungerechtigkeit, mit der wir seit jeher unseren Wohlstand auf dem Rücken der Ärmsten sichern, geht es wohl nicht nur um ein Bewußtseinsproblem, sondern auch um die Überwindung eines Schamreflexes, der uns die Augen vor der bitteren Wirklichkeit verschließt.

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