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„Für mich ist die Bibel nicht dogmatisch!“ – Anselm Grün

Sie zählen weltweit zu den bedeutendsten zeitgenössischen Autoren spiritueller Literatur, sind Referent für spirituelle Themen. „Spiritualität“ scheint neuerdings das Zauberwort zu sein, um das wohl abgenutzt erscheinende Wort Religiosität zu umgehen. Hätten Sie auch so viele Leser und Zuhörer, wenn Sie als Autor christlicher Bücher tituliert würden?

Pater Anselm: Das kann ich nicht beurteilen. Spiritualität ist ja an sich ein sehr vager Begriff. Wenn man es wörtlich nimmt, bedeutet es „Leben aus dem Geist“. Im Unterschied zur Religion, die in den einzelnen Kulturkreisen eine möglichst allgemeingültige Vorstellung wiedergibt, ist der Glaube oder eben die Spiritualität eine individuelle Kraft, die eher mit der Lebenssituation des Individuums, mit seinen persönlichen Vorstellungen und Wünschen zu tun hat. Insofern ist das ein Begriff, der sehr weit gefaßt ist.

Als ich vor ein paar Monaten Franz Alt fragte, wie man in einer materiellen Welt, die voller Ablenkungen ist, spiritueller werden kann, meinte er, durch Momente der Ruhe, sprich durch Kontemplation und Stille. Was ist in der Stille zu finden?

Pater Anselm: Interessanterweise gibt es hierzu im Deutschen zwei unterschiedliche Wörter: Schweigen und Stille. Schweigen ist ein Übungsweg, das heißt, ich muß den Mund halten und mich zur Abwechslung nicht mit allem Möglichen beschäftigen. Stille hingegen umgibt uns! Die Natur ist still; wenn Sie sich in ein Gotteshaus setzen, ist das wie eine „gebaute“ Stille. Stille tut im wahrsten Sinne des Wortes „gut“. Es ist angenehm, wenn man in dieser Stille ist und kein Flugzeug, kein Auto oder ähnliches einen „umlärmt“. Das Ziel der Stille ist es, den Weg in den inneren Raum freizumachen. Der Kopf ist immer „laut“, die Gedanken und die Emotionen sehr stark. Wenn wir aufhören zu reden, dann bemerken wir schnell ebendiese Störherde, und viel Unschönes bricht aus uns hervor, vor allem die eigene Unruhe. Stille zielt den Raum in mir an, der jenseits dieser Unruhe der Gedanken, jenseits meines Ärgers und der Unzufriedenheit ist, ein Raum, in dem ich frei sein kann! Wir Christen sagen hierzu: „Das Reich Gottes ist in uns.“ Hier, in der Mitte meiner selbst, bin ich frei von der Macht der Menschen, von deren Erwartungen, von deren Urteilen, da bin ich heil und ganz, da bin ich daheim bei mir selbst. Allerdings halten es viele Menschen leider nicht mehr bei sich selbst aus und müssen sich deswegen ständig ablenken. Sie wollen zwar zur Ruhe kommen, sind aber unfähig dazu, da eine tiefe Angst sie überkommt, wenn um sie herum nichts los ist. Sie erkennen dann deutlich, daß ihr Leben so nicht stimmt, und angesichts dieses Defizits wird die Konfrontation mit sich selbst sehr groß.

Ein gewichtiger Teil auf dem eigenen Entwicklungsweg ist doch auch Kontinuität.

Pater Anselm: Natürlich! Wir sprachen ja gerade von der Kontemplation, also dem Aufgehen im inneren Raum. Eine Stütze auf diesem Wege nach innen sind Rituale. Rituale gehören zum Bereich des Alltags. Sie schaffen eine Art „heilige Zeit“. Mit heilig meine ich das, was der Welt entzogen ist, über das die Welt keine Macht hat, eine Zeit, die heilsam ist! Die alten Griechen sagten nicht umsonst: „Nur das Heilige vermag zu heilen!“ Viele stehen unter dem Druck, sie müßten Erwartungen erfüllen, die von außen an sie herangetragen werden. Rituale geben das Gefühl, daß man selbst lebt, anstatt gelebt zu werden. Es tut allen Menschen gut, einfach einmal das Gefühl am Morgen zu haben, daß die viertel oder halbe Stunde des Gebetes, der Meditation, des Lesens ihnen gehört und keiner darüber zu verfügen hat. So eine Souveränität gibt einem innere Weite. Dieser Abstand zur und die Freiheit von der Welt ist wichtig!

Hatten Sie anfangs keine Angst vor der Stille, keine Angst davor, sich eventuell auf ein Abstellgleis manövriert zu haben und das Leben zu verpassen?

Pater Anselm: Ein Ausspruch Jesu lautet: „Die Wahrheit wird euch frei machen.“ Wer den Mut hat, der eigenen Wahrheit zu begegnen, kann still werden. Vor der Stille hatte ich also weniger Angst. Ich hatte eher die Befürchtung, ob dieses Klosterleben nicht zu eng für mich ist, ob ich hier nicht verknöchere und lebendig genug bleibe. Diese Angst war aber nur am Anfang vorhanden und hat sich schnell gelegt.

Das Thema Innen- und Außenwelt hat mich in den letzten Monaten sehr beschäftigt. Einerseits ist man Gast in der Welt, andererseits ist die Welt aber auch Gast in mir, da sie – frei nach Platon – in meiner Seele abgebildet wird. Letztlich liegt der Schlüssel in diesen unterschiedlichen Blickwinkeln am Entwicklungsstand meines Selbstbildes, namentlich in dem Verständnis, was die Natur des Menschen ist, ob er also durch und durch sein Körper ist oder ein geistiges Wesen anderer Beschaffenheit, das sich des Körpers bedient!

Pater Anselm: Selbstbild ist für mich ein sehr wichtiges Wort! Was ist der Mensch? Viele Menschen werden krank, weil sie falsche Selbstbilder haben. Viele leiden am Burnout-Syndrom, weil sie an ihrem eigenen Bild vorbeileben und die Bilder anderer erfüllen, die man ihnen übergestülpt hat. Es gibt Bilder der Selbstüberschätzung, in denen man immer cool, immer perfekt sein muß. In der Theologie geht man davon aus, daß Gott sich von jedem Menschen ein einmaliges Bild gemacht hat, und unsere Aufgabe ist es, dieses Bild zu erkennen. Das geht aber nicht kognitiv, nicht so, daß man es beschreiben könnte. Es ist mehr das Empfinden, im Einklang oder in Frieden mit sich selbst zu sein. Ein Gefühl, daß das Leben stimmig ist. Wenn ich mein Bild gefunden habe, dann bin ich frei, und mein Leben sprudelt wie eine erfrischende Quelle. Für Platon besteht Bildung darin, sich das Bild Gottes einzubilden. Die Frage lautet jedoch: Wie findet man dieses Bild? Für mich ist ein gangbarer Weg, geistesgegenwärtig zu sein. Wenn ich in der Stille bin und ich empfinde die Stimmigkeit meines Weges, dann darf ich weiter vertrauen. Anhaltspunkte für diese Suche findet man auch in der Kindheit. Womit konnte ich mich stundenlang beschäftigen, wo war ich tief berührt, wo war ich als Kind begeistert? Wo habe ich wahrhaftig gehört, gespürt, wahrgenommen? An diesen Stellen war ich in Berührung mit mir. Wenn ich dies als Bild für mich annehme, dann komme ich wieder in Berührung mit mir selbst.

Es ist doch erstaunlich, wie sensibel ein Mensch auf Irrwege und Abzweigungen reagiert, die seinen Lebensweg gefährden! Es ist, als ob ein innerer Kompaß einen mit aller Kraft in den Heimathafen bringen wollte. Bestenfalls macht sich dieser Wegweiser durch das Gewissen oder die Empfindung bemerkbar, im schlimmsten Fall somatisieren sich Krankheiten. Es scheint grundsätzlich ein Regulativ im Leben zu geben, eine Ausgleichskraft, die einen darauf aufmerksam macht, daß man gerade ein gutes Lebensprinzip lebt oder ein destruktives, das nicht in diese Schöpfung paßt.

Pater Anselm: Manchmal ist Depression zum Beispiel ein Hilfeschrei der Seele gegen maßlose Ansprüche an uns selbst. C. G. Jung sagt: „Die Depression ist eine schwarz gekleidete Dame. Wenn sie an der Tür klopft, dann laß sie eintreten. Sie hat dir Wichtiges zu sagen.“ In solch einem Fall ist es tatsächlich gut, daß die Seele rebelliert. Natürlich muß man aber auch vorsichtig sein bei der Deutung von Krankheiten. Wenn ich dem Menschen ständig vermittele, daß er an seinem Gebrechen selbst schuld ist, dann steigere ich damit nur seine Schuldgefühle und helfe ihm dabei nicht.

Sie praktizieren auch Zen-Meditation.

Pater Anselm: Ja. Ich habe durch die Zen-Meditation einen tieferen Zugang zu den christlichen Gebeten bekommen. Ich sitze in der entsprechenden Haltung, achte auf meine Atmung und vertiefe mich in das Gebet. Ich war vor zwei Jahren in Taiwan in einem buddhistischen Nonnenkloster und habe dort mit einer Zen-Meisterin über unsere unterschiedlichen Erfahrungen mit der Meditation diskutiert. Beide wollen wir in den Raum der Stille, jenseits der Worte kommen. In der christlichen Tradition schließt jedoch das Wort Jesu den Raum zum wortlosen Geheimnis Gottes auf. Dieser Raum ist für uns Christen aber ein Raum der Liebe. Die Nonne entgegnete mir dann, daß ihr Liebe zu anstrengend sei, für sie sei es der Raum der Leere. Ich dachte mir damals, ob hier wohl nicht eine Verwechslung zwischen den Begriffen Liebe und Gefühl vorliegt. Ich bin der Meinung, wenn der Urgrund des Lebens Liebe ist, dann gibt das dem Sein eine ganz andere Qualität!

Ich bin kein Esoteriker, dennoch muß man sagen, daß sich auch in der Esoterik eine Sehnsucht ausdrückt. Gerade weil wir im Christentum manches übersehen haben, bahnt sich der Drang nach Wahrheit eben dort seinen Weg.

Wieso beschäftigen Sie sich als christlicher Mönch überhaupt mit dem Buddhismus?

Pater Anselm: Der Dialog mit dem Buddhismus und die Beschäftigung mit der Lehre ist meiner Ansicht nach sehr wichtig, weil man im Christentum vieles übersehen hat. Es geht ja auch nicht um das Vermischen der Lehren, sondern um das gegenseitige Lernen. Das Freiwerden vom Ego, das Loslassen, Freiwerden von der Welt sind beispielsweise Momente, die in beiden Glaubensrichtungen sehr wichtig sind.

Im Gegensatz zum Christentum muß aber im Buddhismus das hohe Ich doch nicht nur überwunden, sondern aufgelöst werden. Das widerspricht eher christlichen Gedanken.

Pater Anselm: Das ist richtig. Martin Buber, der das berühmte Buch „Ich und Du“ geschrieben hat, zeigt, wie wichtig die personale Begegnung zwischen den Menschen ist. Person sein, sich begegnen, das ist eine hohe Kultur, die für den Menschen essentiell ist. Wenn wir dieses Person-Sein auflösen, würden wir uns viel nehmen. Man muß aber bei alledem auch genau hinsehen und sich fragen, ob Buddhisten das wirklich so meinen. Oft versteht man diese Punkte dort ganz anders als wir hier im Westen. Alles in allem merke ich zwar, daß ich dem Buddhismus gegenüber kritischer geworden bin, auf der anderen Seite habe ich durch ihn die asketischen und mystischen Dimensionen des Christentums aber neu entdeckt. Der Dialog kann eine Bereicherung für uns sein, der uns hilft, die Bibel mit neuen Augen zu lesen.

Immer wieder ist zu lesen, daß Ihnen kirchenintern vorgeworfen wird, sich zu sehr dem Zeitgeist anzupassen oder zu liberale Positionen zu vertreten. Stört es Sie nicht, daß die Mauerbauer, Verwalter und Konservierer in den Religionen immer recht bald das Sagen haben und das „weite Herz“, wie Sie es so schön ausdrücken, zu kurz kommt?

Pater Anselm: Ich werde weniger von Bischöfen, sondern eher von konservativen Katholiken oder Evangelikalen kritisiert. Für mich ist die Bibel nicht dogmatisch, sie spricht vielmehr in wundervollen Bildern zu uns, und um diese zu durchdringen, haben wir nun einmal den Verstand, den ich benutzen darf und soll! Wenn ich die Bibel auf diese Weise betrachte, kann ich feststellen, daß beispielsweise Gott nicht vergibt, weil Jesus gestorben ist – eine Tatsache, die mir übrigens wahrscheinlich auch jeder Theologe bestätigen könnte! Allein dieser Gedanke ist für manch orthodoxen Christen aber schon eine Häresie, eine Ketzerei! Gott war aber schon immer der vergebende Gott, selbst im Alten Testament, das kann man ja in der Bibel nachlesen! Jesus vermittelte diese vergebende Liebe, indem er es exemplarisch vorlebte. Das Bild aber, daß Gott den Tod seines Sohnes brauchte, um den Menschen vergeben zu können, ist unlogisch und nicht nachvollziehbar.

Das war seit meiner Kindheit ein Punkt, den ich nie nachvollziehen konnte! In einem Buch habe ich dazu sinngemäß gelesen: „Wozu sollte Gott das Gebot geben ,Du sollst nicht töten‘, um dann von den Menschen wiederum zu verlangen, daß man um einer eigenartigen Sündenvergebung willen Gottes Sohn töten mußte! Das ist so dermaßen um zehn Ecken gedacht, daß es nur falsch sein kann.“

Pater Anselm: Da spielt die Empfindung oder der gesunde Menschenverstand zu Recht nicht mit und außerdem ist so eine Logik auch unchristlich! Dieser Gedanke hängt aber dennoch in vielen Köpfen. Gerade hier ist es doch wichtig, den Verstand einzuschalten, und weil ich das tue, wirft man mir vor, zu esoterisch zu sein. Daß ich außerdem im Dialog mit anderen Religionen stehe und zudem noch psychologische Methoden verwende, fördert nicht gerade mein Ansehen in jenen Kreisen! Ich bin zwar kein Esoteriker, dennoch muß man aber sagen, daß sich auch in der Esoterik eine Sehnsucht ausdrückt. Gerade weil wir im Christentum manches übersehen haben, bahnt sich der Drang nach Wahrheit eben dort seinen Weg. Immer wenn die Menschen woanders hinlaufen, dann ist das ein Zeichen, daß sie in ihrer eigenen Religion nicht fündig geworden sind. Die Frage ist für mich eher, wie wir diese Sehnsucht wieder heim ins Christentum holen können. Wie kann ich als Christ die Sehnsucht, die hier ausgedrückt wird, auch ansprechen – ohne nachzulaufen?

Leider finden die Auslegungen der großen Offenbarungsbücher rein auf einer materiellen Ebene statt, anstatt sie als Hinweise für die eigene geistige Entwicklung zu sehen. Hierfür ist der Abstand von der Welt, den wir gerade vorhin angesprochen hatten, wichtig. Die rein materielle Auslegung schafft Fanatismus. Da pilgern beispielsweise amerikanische Evangelikale aus dem Bibelgürtel der USA nach Europa, um die Schauplätze des nahenden Jüngsten Gerichtes zu besuchen. Das ist, finde ich, krank!

Pater Anselm: Für mich ist bei alledem wichtig, daß die Bibel ein heilendes Buch ist! Wenn Menschen in ihrer Ideologie die Wirklichkeit nicht mehr erkennen, kann man auf der psychologischen Ebene einwirken. Es muß aber auch gesagt werden, daß diese religiös motivierten Endzeitphantasien immer ein Ausdruck dafür sind, daß die eigene Seele am Ende ist! Weil diese Menschen keine Hoffnung für sich sehen, muß auch gleich die ganze Welt zugrunde gehen! Religion ist, wie schon gesagt, wichtig, sie kann aber auch verfälscht werden und zu krankhaften Formen führen. Hierbei ist die Psychologie ein ganz wichtiges Mittel, um gesund zu bleiben und Hilfestellungen zu bieten!

Sie sagen: „Sexualität und Aggression sind die wichtigsten Lebensenergien des Menschen.“ Was meinen Sie damit?

Pater Anselm: Aggression hat eigentlich zwei Funktionen: etwas anzupacken und zu verändern oder sich abzugrenzen. Ein Mensch, der keine Aggressionen hat, von dem gehen auch keine Impulse aus. Aggression ist also eine Kraft, die Veränderungen herbeiführt, Sexualität hingegen ist Lebendigkeit, in der die Sehnsucht nach Beziehung, nach Einswerden, nach Ekstase entsteht. Man muß sich hierbei klarmachen, daß es verschiedene Formen der Sexualität gibt. Sexualität hat zum einen zwar mit dem Leib zu tun, andererseits ist sie in ihrer feinsten Form aber auch eine Quelle der Spiritualität! Im Buddhismus gibt es beispielsweise eine sehr asketische Ausprägung und einen tantrischen Weg, mit der die Vereinigung der Gegensätze, das Einswerden gelingen soll. Tantrisch bedeutet nicht Ausleben, sondern in Berührung mit sich kommen und sich verwandeln. Wenn Sexualität unterdrückt ist, dann wirkt das Leben verklemmt, und schnell sucht sich diese Kraft andere Kanäle wie Geltungssucht, Eitelkeit, Härte, Brutalität usw. Von einem Therapeuten stammt der Satz: „Brutalität ist immer verdrängte Sexualität!“ Es gibt auch im Christentum die Angst vor der Sinnlichkeit. Je mehr ich mich allerdings vor etwas ängstige, desto mehr bin ich fatalerweise darauf auch fixiert! Man sieht also, wie wichtig diese Kraft ist und wieviel Verantwortung der Mensch trägt, gut damit umzugehen. Der Umgang mit der Sexualität ist eine tägliche Herausforderung, für die es keinen billigen Trick oder schnellen Ausweg gibt. Der amerikanische Psychologe Ken Wilber bringt das heutige Problem mit der Äußerung auf den Punkt, daß der Sexualität die Transzendenz verlorengegangen ist! Es ist wichtig, sie als gute Gabe anzunehmen und nicht, wie es im Christentum leider oft der Fall war, zu verteufeln. Zur Ehrenrettung möchte ich aber erwähnen, daß die den Leib verneinenden Strömungen durch alle Kulturen und Religionen gehen.

Sie halten auch gut besuchte Seminare für Manager ab. Warum sind Sie in diesen Kreisen so begehrt? Was geben Sie den Menschen weiter?

Pater Anselm: Patentrezepte habe ich auf jeden Fall keine parat! Es sind eher zwei Themengebiete, um die sich unsere Gespräche drehen. Zum einen suchen die Manager Hilfe für sich selbst. Viele Führungskräfte fragen sich, wie man in den Turbulenzen des Wirtschaftens mit sich selbst in Berührung bleiben und aus der inneren Quelle schöpfen kann. Der zweite Block beschäftigt sich mit dem Problem, daß man durch seine Arbeit nie richtig zufrieden ist. Gewinnmaximierung und die Fixierung auf Geld kann ja auch nicht alles sein! Hier erarbeiten wir, wie man in seiner Arbeit wieder Werte vermitteln kann, wie man angemessen miteinander umgeht, die Würde des Menschen achtet, oder anders ausgedrückt: Wertschöpfung durch Wertschätzung! Indem ich in meiner Firma Werte schätze, schöpfe ich auch Werte. Es ist im Gegensatz dazu ein Ausdruck von Menschen- und Selbstverachtung, wenn in einem Unternehmen keine Werte geachtet werden. Es gibt eben auch Firmen, die wertlos sind, weil sie keine Werte achten! In so einem Betrieb will auf Dauer keiner arbeiten.

Die Welt ist im Aufbruch und die Globalisierung voll im Gange. Wenn ich in meinem Betrieb in Deutschland auf den Umweltschutz achte, auf ein ethisches Miteinander, auf Respekt, Fairneß usw., dann ist das zweifelsfrei eine gute Sache. Doch wie gehen Firmen mit der Konkurrenz im Ausland um, für die auf der Jagd nach Profit ethisches Wirtschaften ein Fremdwort ist? Wird man da nicht einfach überrollt?

Pater Anselm: Das ist auf jeden Fall eine Herausforderung! Gegen Land A, das nur die Hälfte unseres Lohnes bezahlt, könnte eine „ethische Firma“ sich wohl noch wehren. Wenn dieses Land wiederum die Produktion in ein Land B auslagert, weil dort die Löhne noch einmal ein Viertel günstiger sind, dann gerät man an die Grenzen des Machbaren! Man kann aber andere Firmen auch mit guten Werten, mit Nachhaltigkeit unter Druck setzen! Jochen Zeitz, der Chef des „Puma“-Konzerns, mit dem ich soeben das Buch „Gott, Geld und Gewissen“ geschrieben habe, trimmt seine Firma im Augenblick zum Beispiel massiv auf Nachhaltigkeit. Das schmälert zwar zunächst einmal den Gewinn, weil die Konsumenten eher Wert auf billige Waren legen, auf lange Sicht kann sich aber Konkurrent „Adidas“ diesem Thema nun nicht mehr entziehen! „Puma“ produziert natürlich genauso in China, doch versucht man eben, auch dort diese ethischen Standards durchzusetzen. Es ist wichtig, daß wir unsere Vorstellungen von Nachhaltigkeit und sozialer Gerechtigkeit etablieren, daß wir also auch Werte exportieren und nicht nur Waren!

Geld ist wichtig, damit das Leben gelingt, doch wenn das Leben gänzlich ohne religiöse Dimensionen ist, dann springt am Ende das Geld in dieses Wertevakuum und erhält dabei religiöse Dimensionen. Es wird zum Götzen.

Wie geht jemand, dem es um Geisteswerte geht, mit wirtschaftlichem Druck um? Sie sind als Cellerar einiger Klöster für einen großen Wirtschaftsbetrieb mit vielen Arbeitsplätzen verantwortlich.

Pater Anselm: Man braucht einen langen Atem und man muß sich bei seinen Investitionen immer überlegen, wie man die Abtei auf gesunde Füße stellen kann. Es geht mir nicht um Gewinnmaximierung, um das Immer-Mehr, sondern es geht mir um die Sicherung von Arbeitsplätzen und um ein gutes Arbeitsklima. Die Arbeitsplätze sind nicht nur als Wohltat gedacht, sondern es muß am Ende auch etwas dabei herauskommen, das heißt, unsere Arbeitnehmer müssen ihren Lebensunterhalt verdienen. Das wichtigste bei der Führung solch eines Unternehmens ist meiner Ansicht nach Vertrauen. Wenn ich vertraue, dann arbeiten die Angestellten auch gerne in diesem Betrieb. Mißtrauen, Angst lähmt und ist pure Energieverschwendung! Es ist mir bei meiner Arbeit deshalb wichtig, daß ich mich selbst und auch andere nicht unter Druck setze. Ich finde es zum Beispiel kleinkariert, wenn ich einen Chef sagen höre: „Sie müssen noch mehr arbeiten!“ So etwas ist für mich immer Ausdruck mangelnder Fantasie! Wenn ich Fantasie habe, muß ich niemanden unter Druck setzen!

Sie legen doch aber auch Gelder an. Ist bei Ihren Anlagen nicht die Gefahr groß, das unethische Verhalten anderer zu unterstützen?

Pater Anselm: Man muß natürlich immer aufpassen, wo man anlegt. Es gibt ja grundsätzlich zwei Möglichkeiten: Entweder man steigt ganz aus dem System aus oder man benutzt das System, um damit etwas zu bewirken! Es gibt bei dieser Form des Geldverdienens auch ethische Geldanlagen. Es gibt zum Beispiel Fonds, die bewußt Firmen heraussuchen, die mit ethischen Standards ihr Geld verdienen. Wenn man sich über das Unternehmen ausgiebig informiert, kann man die von Ihnen angedeutete unredliche Form des Handels also gut vermeiden. Sicherlich ist die allgemeine Skepsis aber begründet, da bei den Aktienhandelsgeschäften gerade in jüngster Zeit viel falsch gelaufen ist. Vor allem die unkontrollierten und anonymen Spekulationen in England und Amerika sind nach wie vor hochgefährlich. Beim Geldgeschäft muß ich eben immer eine innere Freiheit vom Geld haben!

Samuel Weber hat sich in seinem Buch „Geld ist Zeit“ über Kredit und Krise Gedanken gemacht. Die amerikanische „Konsumreligion“ sucht seiner Ansicht nach im Anhäufen von Schulden Erlösung. Außerdem sieht er eine weitere Analogie zur Religion, da auch am Anfang der Verwandlung von Geld in Kapital ein Glaubensakt steht: nämlich das Vertrauen, daß die öffentliche Schuld gedeckt sei. Kapitalismus als Religionsersatz und Konsum als Weg zur Gnade. Was halten Sie davon?

Pater Anselm: Da ist etwas Wahres dran! Der pure Kapitalismus ist sicher ein Fehler, da es immer schon zu großen Problemen geführt hat, wenn weltliche Dinge einen religiösen Glanz erhielten. Geld ist wichtig, damit das Leben gelingt, doch wenn das Leben gänzlich ohne religiöse Dimensionen ist, dann springt am Ende das Geld in diese Lücke, in dieses Wertevakuum und erhält dabei religiöse Dimensionen. Spätestens dann wird es fatal, da das Geld zum Götzen wird, und wie jeder weiß, kann man nicht zugleich Gott und dem Mammon dienen! Von der psychologischen Seite her würde ich mich C.G. Jung anschließen: „Geld ist nicht per se schlecht, es hat aber die Tendenz, die Maske zu verstärken.“

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