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„Die Menschen müssen von Existenzängsten befreit werden!“ – Götz Werner

Prof. GÖTZ WERNER, Chef der Drogeriemarktkette „dm“, ist seit Jahren der wohl engagierteste Verfechter des sogenannten bedingungslosen Grundeinkommens (BGE). In seinem neuen Buch „1000 € für jeden“ erklärt er, wieso gerade ein vom Staat ausgeschüttetes Grundeinkommen Freiraum für mehr Kreativität und Eigeninitiative schaffen soll. Die Idee: Den Menschen könnte mit diesem radikalen Systemwechsel Sinn und Würde zurückgegeben werden, da sie von wirtschaftlichen Existenzängsten befreit wären …

Im Krisentaumel der letzten Monate spricht man seit einiger Zeit von „Transferleistungen“ für bedürftige Länder oder stigmatisiert ganze Staaten wie Hartz-IV-Empfänger – da gibt es im großen Rahmen einige Parallelen zu Ihrem Buch „1000 € für jeden“. Wie sehen Sie als Unternehmer und vor allem Verfechter des bedingungslosen Grundeinkommens die letzten Monate dieser „Krisenzeit“?

GÖTZ WERNER: Diese Krise ist ein Menetekel! Wir erleben heute eine Situation, wie sie Goethe im Zauberlehrling beschrieben hat. Durch unser egoistisches Gebaren, dessen Auswirkungen sich im globalen Maßstab noch potenzieren, haben sich die Menschen ein schier undurchdringliches Gewirr autonom gewordener Finanzmechanismen geschaffen, die uns heute gegen unseren Willen an den Rande des Abgrunds zerren – die Geister, die wir riefen! Dem ganzen Thema liegt ein zutiefst menschliches Problem zugrunde. Uralte Verhaltensmuster prallen mit nie da gewesenen Finanzgebilden und hochkomplexen Wirtschaftsstrukturen zusammen, und dieses Aufeinandertreffen schafft ein Klima der Bedrohung, der Verwirrung. Fragen Sie sich selbst einmal, ob Sie das alles verstehen, was die Medien berichten und wie Sie sich dabei fühlen. Sie können sicher sein, daß keiner das ganze Ausmaß dieser „Krise“ versteht, sondern immer nur kleine Teilaspekte. Es wird nun interessant werden, wie wir mit diesen Begebenheiten umgehen, wie wir es schaffen, den Markt so zu regulieren, daß er sich wieder am Menschen orientiert! Wir sollten aufwachen und bei aller Unbill auch die Chance erkennen, die in jeder Krise steckt. Vielleicht fragen wir uns ernsthaft, worauf es im Leben wirklich ankommt.

Der Sozialstaat Bismarckscher Prägung steckt heute in einer Krise oder präziser: einem Dilemma. Ihr Lösungsansatz besteht nicht aus alten Ismen oder politischen Programmen, er bezieht seine Kraft aus einer uralten Utopie: Wohlfahrt und innere Entwicklung durch Eigenverantwortung!

GÖTZ WERNER: Einer Gemeinschaft geht es um so besser, je mehr Menschen eigeninitiativ im Sinne des Ganzen tätig werden. Dazu bedarf es entsprechender Rahmenbedingungen, die dem einzelnen den nötigen Freiraum eröffnen, um sich dort einzubringen, wo es ihm am sinnvollsten erscheint. Mit den bisherigen Denkschemata des Bismarckschen Sozialstaates können wir die Zukunft jedoch nicht bewältigen, das sehen wir an Mißständen wie Kinder- und Altersarmut, die angesichts unseres Reichtums nicht sein dürften! Wenn dieses 130 Jahre alte Dogma zur Sicherung des sozialen Friedens und Gerechtigkeit an seine Grenzen stößt, dann müssen wir nach neuen Modellen suchen, also einen Paradigmenwechsel anstreben. Wir können die Probleme nicht mit den Methoden lösen, durch die die Probleme entstanden sind. Die Umstände verändern sich immer schneller. Das allmähliche Umdenken und der Weg, der zur Veränderung führt, kristallisieren sich jedoch immer durch eine Schärfung des Bewußtseins in einer Krise! Die daraus entstehenden Bestrebungen können letztlich nur in der Gemeinschaft Gestalt annehmen. Die Frage ist, ob wir es schaffen, in einen gesellschaftlichen Diskurs zu treten, um so die drängenden Probleme zu lösen. Die Bereitschaft ist auf jeden Fall da – hinter all den Krisengipfeln steht der Wunsch, durchblicken zu wollen.

Man hat aber doch eher den Eindruck, daß bei diesen Runden nicht viel herauskommt. Es fragt sich daher, ob wir genug Zeit haben, den Strukturwandel selbst herbeizuführen, oder ob die Konsequenzen uns nicht einfach überrollen! Wir werden ja geradezu in eine neue Zeit mit neuen Grundvoraussetzungen gezerrt.

GÖTZ WERNER: Wir dürfen uns bei aller teils begründeter Enttäuschung nicht dem Pessimismus hingeben – denn es wird weitergehen, so oder so! Ich halte es immer für angebrachter, daß man nach vorne schaut und sich nicht der Angst ergibt. Diese zeitaktuellen Geschehnisse, die der eine heute so und der andere morgen so bewertet, sind, so tragisch sie für das Individuum sein können, in ihrer Gesamtheit für unsere Entwicklung, unser Weiterkommen gedacht! Wir werden mit der Sache also umgehen lernen müssen. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg ging es weiter, obwohl mein Vater mir immer erzählte, daß die Menschen damals vom Ende sprachen und daß nichts mehr weitergehen würde. Die Gretchenfrage ist einzig und allein: Macht der Mensch seine notwendigen Schritte durch Einsicht oder durch Katastrophe?

Ist das Ausmaß der Umstände, in die wir uns durch unsere Ich-Sucht hineinmanövriert haben, nicht einzigartig gigantisch? Ich bezweifle stark, daß es schon ein größeres Zerstörungspotential auf unserem Planeten gab.

GÖTZ WERNER: Es gibt sehr große Probleme, vergessen wir aber nicht, daß es heute auf der anderen Seite jedoch genauso gigantische Möglichkeiten gibt, um dagegensteuern zu können. Die Zusammenballung von Wissen und Mitteln in unserer Epoche ist ebenso einzigartig! Wie schon erwähnt, lösen Krisen Entwicklungen aus, und zwar für den einzelnen wie für die Gesellschaft. Der Mensch ist nicht auf der Erde, um sich wie ein Tier einfach seiner Biologie zu ergeben, sondern um sich weiterzuentwickeln. Mit dieser Einstellung erscheinen Probleme, Nöte und Krisen in einem anderen Licht, und wir hätten die reelle Chance, uns unsere Handlungsfähigkeit zurückzuerobern!

Ich sehe bei allen Bestrebungen das grundlegende Problem, daß die heute von uns geschaffenen Rahmenbedingungen ein Wertegefüge entstehen lassen, das den Menschen mit fatalen Folgen einzig auf der materiellen Ebene anspricht und den altruistischen Zugang zum Nächsten und damit auch zu seinem eigenen Innersten verbaut! Die Gefängnisse in den USA sind beispielsweise nicht deshalb so voll, weil es dort nur noch schlechte Menschen gibt, sondern weil das System ein menschenunwürdiges Milieu geschaffen hat.

Wenn es uns nicht gelingt, grundlegende Veränderungen durchzuführen, fliegt uns unser Gesellschaftsmodell um die Ohren! Die Vorgänge in New York, London, den Banlieues in Frankreich sind Vorboten.

GÖTZ WERNER: Wenn es uns nicht gelingt, grundlegende Veränderungen durchzuführen, fliegt uns unser Gesellschaftsmodell um die Ohren! Die Vorgänge in New York, London, den Banlieues in Frankreich sind Vorboten. Wir müssen es schaffen, daß die Würde des Menschen unangetastet bleibt, die Armut der Gemeinschaft eingedämmt wird und die repräsentative Demokratie sich weiterentwickelt. Wir stehen vor einem Scheideweg. Es wird sich herausstellen, ob der einzelne die Kraft hat, sich durch diese leblos machende Mauer des Materialismus hindurchzustoßen – also frei nach Goethe: „Von der Gewalt, die alle Wesen bindet, befreit der Mensch sich, der sich überwindet!“ – oder ob er versagt und die Weiterentwicklung, die so oder so eintreten wird, nicht in Anspruch nehmen kann.

Sie setzen sich genau deshalb seit Jahren für das Bedingungslose Grundeinkommen (BGE) ein. Dieser Kulturimpuls soll allen Mitgliedern der Gesellschaft ein staatliches Einkommen und damit kulturelle Teilhabe garantieren, und zwar von der Wiege bis zur Bahre und ohne Vorbedingungen. Welche gesellschaftliche Vision verbinden Sie damit?

GÖTZ WERNER: Die Idee hört sich für viele zunächst sehr verlockend an, dennoch: das BGE ist eine anstrengende Angelegenheit, da die Verantwortungshoheit beim einzelnen liegt und es keine Ausreden mehr gibt, warum etwas nicht unternommen oder verändert werden kann! Anders gesagt: meine Lebensumstände sind nicht mehr in der Hand einer vermeintlich anderen Person, ich entscheide, wohin die Reise geht. Durch ein geregeltes Grundeinkommen hat deshalb jeder die Chance, etwas zu verändern, und zwar ohne daß es ihm finanziell das Rückgrat bricht! Im Grundeinkommen steckt also die Möglichkeit, ein freier und damit eigenverantwortlicher Mensch zu werden. Die Höhe des BGE muß so gewählt sein, daß jeder Bürger ein bescheidenes, aber menschenwürdiges Leben führen kann, so wie der Artikel 1 des Grundgesetzes es anmahnt: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“. Oder anders gesagt: Das BGE soll so hoch sein, daß die kulturelle Teilhabe des Individuums sichergestellt ist. Was der Staat heute als Grundeinkommen in Form von Hartz IV ausbezahlt, ist hingegen an Bedingungen geknüpft, die zu Ausgrenzung und Gängelung führen und den Hilfsbedürftigen das letzte Engagement und Selbstwertgefühl nehmen. Man kann sich das gar nicht ausmalen, was das Grundeinkommen in unserer Gesellschaft verändern würde. Wir hätten eine ganz andere Gesellschaft, eine, die sich vom Sollen zum Wollen drehen würde!

Dennoch ruft das BGE immer dieselben drei Reaktionen und Reflexe hervor: zunächst spontane Begeisterung angesichts der Entlastung von massivem Existenzdruck, gefolgt von Skepsis, wenn es um den pragmatischen Teil, die Finanzierung geht, und schließlich moralischen Bedenken: „Das ist doch nicht anständig!“

GÖTZ WERNER: Die alten Paradigmen sind eben noch stark in unserem Denken verwurzelt, und Utopien wie das BGE benötigen einfach Zeit. Hier muß zunächst intellektuelle Vorarbeit geleistet werden, bis die Idee hinter den Worten in den Herzen und Seelen Einzug findet. Die Idee kann letztlich nur epidemisch werden, wenn genügend Menschen das Neue denken können – erst dann ist es auch realisierbar! Wenn die Idee für genügend Menschen einsehbar wird und ein Evidenzerlebnis auslöst, können sich die Dinge von heute auf morgen ändern! Alles, was heute Realität ist, war gestern Utopie, und alles, was morgen Realität sein wird, ist heute Utopie! Das Morgen entscheidet sich daran, wie weit es uns gelingt, Utopien Wirklichkeit werden zu lassen. Vor 100 Jahren hat es beispielsweise noch honorige Menschen gegeben, die wirklich argumentierten, Frauen sollen nicht wählen dürfen, weil sie nicht denken können! Darüber lachen wir heute und fragen uns, warum man das Frauenwahlrecht einst als Utopie abtun konnte.

Wir verstehen heute unter Arbeit weisungsgebundene, fremdbestimmte und sozialversicherungspflichtige Erwerbsarbeit. Sie sagen hingegen, Einkommen sei nicht die Folge meiner Arbeit, sondern Einkommen bietet die Möglichkeit, arbeiten zu können. Nicht das Recht auf Arbeit soll deshalb verpflichtend sein, sondern das Recht auf Einkommen, denn: ohne Einkommen keine Arbeit! Ist das nicht ein wenig abstrakt und schwer zu vermitteln?

 

GÖTZ WERNER: Nein, überhaupt nicht. Diese Idee entspricht doch vielmehr unserer täglich\“Verfechter
Verfechter des bedingungslosen Grundeinkommens (BGE): Prof. Götz W. GÖTZ WERNER: en Erfahrung! Nehmen wir unsere Situation hier. Sie können dieses Interview mit mir nur führen, weil Sie ein Einkommen haben. Sie benötigen das Einkommen mit anderen Worten, um leben und arbeiten zu können. Das Interview an sich aber, Ihre Leistung, ist unbezahlbar! Wenn man dieses Prinzip begriffen hat, wird man schnell sehen, daß Einkommen schlicht Ermöglichung bedeutet – immer wenn ich etwas bezahle, ermögliche ich etwas! Wir meinen auch irrtümlicherweise, daß wir etwas abrechnen, wenn wir es bezahlen, das ist aber ein Denkfehler! Wenn wir etwas bezahlen, beauftragen wir vielmehr etwas. Wenn ein dm-Kunde zum Beispiel eine Zahnpastatube kauft, geht er, wie die meisten anderen Konsumenten, davon aus, er würde diese Tube Zahnpasta an der Kasse bezahlen. Das ist jedoch ein Irrtum. Die Zahnpasta ist schon bezahlt, sonst könnte sie gar nicht im Regal stehen. Durch den Vorgang an der Kasse versetzt der Käufer uns lediglich in die Lage, wieder eine neue Tube Zahncreme zu bestellen. Etwas zu bezahlen, heißt im Grunde also immer nur eines: gut gemacht, weiter so! Es ist eine Beauftragung weiterzumachen, ein Ausdruck von Wertschätzung! Wenn wir uns diesen Perspektivwechsel – daß nicht die Vergangenheit abgerechnet, sondern die Zukunft ermöglicht wird – in gesellschaftlichen Dimensionen vorstellen, dann haben wir aus der Logik heraus Einkommen und Arbeit getrennt. Doch denken wir weiter, fragen wir uns, warum wir das Einkommen überhaupt benötigen: Weil wir irdische Wesen sind, die sich ernähren, kleiden, fortbewegen wollen. Und wofür benötigen wir die Arbeit? Um uns als geistiges Wesen weiterentwickeln zu können! Fragen Sie sich einmal, was aus Ihnen geworden wäre, wenn Sie die Arbeit, die Sie die letzten Jahre vollbracht haben, nicht gemacht hätten! Mit Arbeit entwickelt man sich als Mensch weiter. Es herrscht aber noch immer die Meinung, Einkommen sei die Folge der Arbeit. Das Einkommen ist jedoch im Gegenteil die Voraussetzung für Arbeit! Es geht nun darum, daß wir als Gemeinschaft gesellschaftliche Verhältnisse schaffen, die es dem einzelnen ermöglichen, über sich hinauszuwachsen! BGE heißt, so gesehen, nicht: ab in die Hängematte, sondern: wir geben dir Zutrauen, und jetzt zeig uns, was du kannst! Wachs über dich hinaus! Bring deine Fähigkeiten in die Gesellschaft ein!

Ihre Kritiker zitieren gerne den Apostel Paulus: „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen!“

GÖTZ WERNER: Das ist eine Fehlinterpretation. Dieser Appell ging seiner Zeit an die urchristliche Gemeinde, in der damals alle nicht mehr arbeiteten, weil sie auf den Messias warteten. Paulus meinte damit: Wenn ihr nicht weiter euren Grund und Boden bearbeitet, dann könnt ihr nicht verlangen, daß andere euch etwas abgeben. Dieser Ausspruch stammte aus Zeiten der Selbstversorgung, einer Epoche also, in der die gesellschaftlichen Grundvoraussetzungen andere waren. In einer Selbstversorgergesellschaft hatten die Menschen noch ihr Stück Grund und Boden, das sie bestellen konnten – „der freie Mann auf freier Scholle“! Grund und Boden entsprachen in der Selbstversorgung einem Grundeinkommen! Wer damals den Boden nicht beackerte, hatte auch nichts zu essen. Übertragen auf heute heißt das: Wer sein Einkommen nicht ausgibt, hat auch nichts zu essen. Man muß also Grundeinkommen und Grund und Boden auf eine Stufe stellen! Da wir heute aber ausschließlich eine Gesellschaft von Fremdversorgten und Fremdversorgern geworden sind, benötigen wir, um leben und wieder frei sein zu können, ein Äquivalent zum damaligen Grund und Boden, und das ist das Grundeinkommen!

Das BGE – so wird häufig vorgebracht – ist eine gute Idee, wären da nicht die „bösen“ Mitmenschen, die das System ausnutzen würden. Wer würde noch arbeiten, wenn er fürs Nichtstun Geld bekommt? Man geht bei sich selbst von humanen und guten Zielen aus, unterstellt den anderen aber die Verschlagenheit, die den ganzen Ansatz zerstören würde!

GÖTZ WERNER: Diesem Argument kann man einfach entgegentreten, indem man fragt, was denn jemand persönlich machen würde, wenn er 1000 Euro im Monat bekäme. Die allermeisten, das ist meine Beobachtung aus unzähligen Gesprächen, würden im besten unternehmerischen Sinne etwas auf die Beine stellen und selbstverständlich weiterarbeiten. Diese Unterstellung macht deutlich, daß wir ein Kulturproblem haben – und zwar die grundsätzliche Geringschätzung! Man geht bei sich selbst von humanen und guten Zielen aus, unterstellt den anderen aber die Verschlagenheit, die den ganzen Ansatz zerstören würde! Die innere Haltung hinter dieser Denke lautet im Klartext: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser … Vertrauen für mich, Kontrolle für dich! Mit diesem Ansatz können Sie aber weder eine Ehe noch ein Unternehmen führen noch in eine Straßenbahn steigen oder Aufzug fahren – denn Sie sind schneller die Treppe hoch gelaufen, als den Aufzug zu kontrollieren. Arbeitsteiligkeit setzt Zutrauen voraus, daß man die Arbeit des anderen wertschätzt – und zwar von vornherein!

Um das BGE finanzieren zu können, gibt es unterschiedliche Modelle. Sie schlagen vor, auf Steuereinnahmen wie Lohnsteuer, Einkommensteuer, Vermögensteuer etc. komplett zu verzichten und dafür die Finanzierung über eine Konsumsteuer (Mehrwertsteuer) laufen zu lassen. Wäre die Besteuerung der Güter nicht gigantisch hoch, wenn alle Steuern nur noch hier anfielen?

GÖTZ WERNER: Die Steuer ist ein Teilungsverfahren. Sie teilt das Wertschöpfungsergebnis zwischen dem, was der einzelne konsumieren kann, und dem, was die Gemeinschaft konsumieren muß, um Leistungen wie Straßen, die der einzelne benötigt, bereitstellen zu können. Unsere heutige Staatsquote liegt bei zirka 50 Prozent, das heißt, von allem, was wir produzieren, von allen Werten, die wir schaffen, ist die Hälfte gemeinschaftliches Einkommen und die andere Hälfte individuelles Einkommen. Das sind die heutigen Fakten. Nun stellt sich die Frage: Wovon leben wir? Leben wir von Geld oder von Gütern? Die Antwort ist klar: von Gütern natürlich! Das Geld ist sozusagen immer nur das Spiegelbild der Güter! Die Frage ist nun, ob wir in der Lage sind, genügend Güter und Dienstleistungen zu produzieren, so daß alle Menschen in unserem Land für ihr Einkommen – also mindestens 1000 Euro als Grundeinkommen oder mehr – die gewünschten Erzeugnisse erhalten. Wenn wir genügend Güter haben, ist das BGE bereits finanziert.

Und wer macht die „Drecksarbeit“, wenn jeder die Freiheit hat, das zu tun, was er will?

GÖTZ WERNER: Wir leben doch schon in einer Gesellschaft, in der immer andere für uns tätig sind. Das Hemd, das Sie anhaben, das Auto, das Fahrrad, die Zahnpasta, alles wird von Fremden für Fremde produziert. Wenn Sie also wollen, daß man etwas für Sie macht, dann gibt es nur drei Möglichkeiten. Erstens: Sie schaffen einen attraktiven Arbeitsplatz, indem Sie jemanden beispielsweise attraktiv bezahlen oder die Arbeitsbedingungen verbessern. Zweitens: Sie automatisieren die Arbeit. Und drittens gibt es noch eine weitere Möglichkeit: Sie machen es selbst! Aber auch wenn ein Job noch so gut bezahlt wird, muß man sich klarmachen, daß die Motivation eines Menschen immer in der Wertschätzung seiner Leistung begründet liegt! Das ist die Voraussetzung für intrinsische Motivation! Wenn Arbeit sich nicht auf Geldbeschaffung reduziert oder wenn der Arbeitsplatz kein Einkommensplatz ist, dann mache ich die Arbeit, weil sie sinnvoll ist. Damit Arbeit sinnvoll ist, muß ich selbst darin einen Sinn sehen, und der, für den ich arbeite, muß auch einen Sinn darin erkennen, also meine Arbeit wertschätzen!

Rainer Hank, dem Ressortleiter Wirtschaft der FAZ, sind Ihre Vorstellungen, wie er in einer SWR-2-Diskussion zum Ausdruck brachte, zutiefst suspekt. Für ihn ist das BGE nichts weiter als eine Schlaraffenland-Phantasie, welche die Menschen nicht frei, sondern träge mache.

GÖTZ WERNER: Herr Hank bevorzugt eben eine Welt, in der einem nichts geschenkt wird, eine Welt, in der Mangel und Knappheit herrschen und Freiheit an Bedingungen geknüpft sind. Der Mensch erfährt in so einem Weltbild seine Würde, indem er sich dieser Unbill stellt und das Beste daraus macht! Die Grundlage dieser Vorstellung beruht auf einem absolut materialistischen Weltbild! Hier fehlt einfach eine weitere Dimension, ohne die man das Leben nicht abbilden, nicht verstehen kann. Mit so einer Einstellung kann man kein Zutrauen geben, sondern nur nach dem Motto leben: „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“. Doch „Zutrauen veredelt den Menschen, ewige Bevormundung hemmt sein Reifen!“ (Gottfried Frey) In einer arbeitsteiligen Gesellschaft ist Zutrauen das Grundgebot, da daraus erst Vertrauen erwachsen kann! Ich setze bei meinen Betrachtungen zum BGE lieber einen Menschen voraus, der nach Sinn strebt, zielorientiert und gütig ist oder, wie es im Faust heißt: „Der Mensch in seinem dunklen Drange ist sich des rechten Weges wohl bewußt!“ Unsere Pflicht ist es, Verhältnisse zu schaffen, durch die der Mensch in seinem Streben einen Aufwärtssog erlebt und nicht in seinem dunklen Drang bestärkt wird.

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